14 EL PERAL - LLANES (Camino de la Costa)

EL PERAL – LLANES

El Peral – Llanes

Tag 14: 23 km, relativ flach (300 Höhenmeter). Über Pendueles, Riego, traumhafter Umweg an der Küste entlang.

14 EL PERAL - LLANES (Camino de la Costa)

Blick auf Bucht und Insel, 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

Gleich in der ersten Dämmerung habe ich mich etwas frösteln aufgemacht. Beim Gehen wird mir dann schnell etwas wärmer. Erst besetzt die N-634 wieder den Jakobsweg. Dann aber, bereits nach einer guten halben Stunde geht es ab in den Wald. Bald erreicht der Naturweg die grässliche Schneise der neuen Küstenautobahn. Wer hier vor der Wahl steht, entscheidet sich sicher gerne so wie ich für einen Umweg direkt an der Küste. Der Küstenwanderweg E-9 (Senda Costera) ist gut markiert, aber kein Teil des offiziellen Jakobsweges. Der Umweg beschenkt mich dafür mir reichhaltiger Natur. Weiden, wie im Allgäu. Felsklippen wie in Schottland. Einsam und friedlich ist hier alles.

Hier draußen an den Felsklippen gefällt es mir wieder total gut. Es ist heute auch von der Temperatur her sehr angenehm zum Wandern. Etwa 18° Grad. Immer wieder kommt die Sonne ein wenig durch. Die heutige Strecke ist angenehm flach. Im Prinzip geht es immer so auf etwa 50 Höhenmetern dahin. Mal ein wenig rauf, mal ein wenig runter.

Nach einer guten halben Stunde komme ich an eine Tafel mit der Aufschrift „Buffones de Arenillas“. Hier an dieser Stelle kann man bei einem entsprechenden Wellengang ein Naturschauspiel erleben. Durch den löchrigen Fels schießen dann wie bei einem Geysir Wasserfontänen in die Luft. Ihren Namen Steinschleudern haben die „Geysire“, weil sie auch allerlei Kieselsteine mit in die Luft schleudern. Deshalb steht auch dabei „Atención, Zona muy peligrosa!“

Soweit die Theorie der Geysire. Und es bleibt auch bei der Theorie, denn heute liegt der Ozean völlig ruhig unter mir.

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Im Nebel, 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

Wälder, Bäche und der Ozean

Irgendwann wendet sich der Senda Costera halblinks ab vom Atlantik. Ich tauche ein in einen Eukalyptuswald. Hier riecht es heute so intensiv, als hätte ich mir Hustenbalsam auf den Hals geschmiert! Nach einem weiteren Kilometer im Wald stehe ich auf einer kleinen Anhöhe. Etwa eine Kirchturmhöhe unter mir mäandert der grüne Rio Purón in einem verwundenen Flusslauf dem Ozean entgegen.

Hier stoße ich auf eine nicht ganz alltägliche Pilgergemeinschaft. Ein polnischer Opa, der den Weg schon einmal gegangen ist, macht nun mit seinen beiden Enkelkindern den Jakobsweg. Die beiden Burschen sind vielleicht 16 und 18 Jahre alt und sprechen englisch. Beide haben sie bestimmt doppelt so viel Gepäck wie ich auf ihren Schultern und sie tun mir ein wenig leid. Ich selbst tue mich mit meinem abgespeckten Rucksack heute viel leichter. Während die beiden hochrote Köpfe haben, macht mir mein Rucksack überhaupt nichts mehr aus. Ich schätze ihn auf je nach Wasservorrat auf nur noch etwa 10-12 Kilo.

Ein knorriger alter Angler, der mit seinen Gummistiefeln im Wildbach steht, winkt mir zu. Würde ein deutscher Angler auch winken?

In wunderschöner Landschaft marschiere ich frohen Mutes weiter in Richtung Andrín. Es ist ein kleines friedliches Dörflein mit vielen alten und schön hergerichteten Steinhäusern.

Um halb Elf komme ich im Dorf an einer grünen Tafel vorbei, auf der geschrieben steht: „Plato del Peregrino, 8 Euro“. Soll ich mir heute einmal acht Euro gönnen? Während ich so überlege, sieht mich die Besitzerin des Lokals „muy costoso? Zu teuer?“ Ich zucke mit den Achseln. Sie sieht auf Ihre Uhr und meint, dass es normalerweise erst um eins etwas zu essen gibt. Normalerweise. Sie sagt mir jedoch auch, dass der Koch normalerweise früher kommt und dann fragt sie mich, ob ich nicht schon einmal Platz nehmen wolle.

Die Besitzerin, die gerade ganz entspannt mit dem Besen den Garten des Restaurants sauber macht, bringt mir ungefragt erst einmal eine Flasche Rotwein, Wasser und frisches Brot. Nun ist die Entscheidung gefallen. Besser gesagt: Sie wurde gerade eben für mich gefällt! Der Restaurantgarten, in dem ich mich niederlasse ist mit einer Steinmauer umfasst.

Aus jeder Ritze quellen Steinpolster und Blumen hervor. Die Tische sind kunterbunt zusammen gewürfelt und alles ist urgemütlich, um dort zu verweilen.

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Bufones de Arenillas, 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

14 EL PERAL - LLANES (Camino de la Costa)

Kleiner Canyon, 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

14 EL PERAL - LLANES (Camino de la Costa)

Traumhafte Küstenlandschaft, 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

14 EL PERAL - LLANES (Camino de la Costa)

Direkt auf den Atlantik zu: 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

Der einzige Gast

Da ich der einzige Gast bin, blättere ich ein wenig im Reiseführer. Immer wieder schenkt mir die Besitzerin frischen Rotwein nach. Ich habe ihr schon signalisiert, sie dürfe gerne ein wenig langsamer machen. Weil ich mich nicht unbeliebt machen möchte, frage ich sie höflich, ob ich mir meine Schuhe ausziehen darf.

Sie lacht laut und kann gar nicht verstehen, warum ich es nicht einfach mache? Ob ich Deutscher bin, meint sie lächelnd.

Mit einem knatternden Motorrad kommt gerade der Koch an. Es muss der Koch sein, denn er hat eine weiße Schürze an.

Die Besitzerin wechselt ein paar Worte mit ihm und stellt mich ihm vor. „Hier ist ein Pilger, der schon mächtig Hunger hat“. Auch er muss nun lachen und gibt mir die Hand. Gleichzeitig signalisiert er mir, dass er sich freue, heute für einen Pilger kochen zu dürfen.

Er schlägt mir vor, mich überraschen zu lassen! Und darauf lasse ich mich gerne darauf ein.

Wenig später folgt Suppe des Hauses, großer gemischter Salat, Schnitzel mit Gemüse und einem Berg hausgemachten Pommes. Danach muss ich noch den selbst gemachten Kuchen probieren, denn als Deutscher müsste ich ja etwas von Kuchen verstehen, meint die Besitzerin. Sind wir ein Kuchenvolk?

Natürlich gibt es auch noch Kaffee und dann einen Schnaps, den ich unmöglich ablehnen hätte können. Dafür habe ich die zweite Karaffe Rotwein nur angetrunken. Oje, wie schwer werden meine Füße danach sein?

Und da ist sie wieder, die Besitzerin, obwohl ich um die Rechnung noch gar nicht gebeten habe. Sie habe mich am Anfang ja gefragt, ob acht Euro zu teuer wären. Nein, nein, erwidere ich verlegen, das wäre vollkommen in Ordnung. Die Besitzerin meint es aber sehr ernst mit Ihrer Frage. Ob ich mit fünf Euro einverstanden wäre und ob es mir denn wirklich auch geschmeckt habe? Wahnsinn, auch das ist Spanien, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe.

Immer mehr verstehe ich, warum Menschen, die irgendwann einmal selbst am Jakobsweg unterwegs waren, das Bedürfnis haben, eines Tages etwas von dem, was sie erlebt haben, zurückgeben zu wollen.

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Pilgermenü mit Bratkartoffeln, 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

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Nachspeise für Pilger: 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

14 EL PERAL - LLANES (Camino de la Costa)

Hier gibt es auch ein Pilgermenü: 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

Hier am Weg nehme ich dankbar an.

Doch immer mehr bin ich tief in die Schuld der lieben Menschen gerutscht, die sich hier menschlich engagieren und den Weg erst zu dem machen, was er ist!

Der Weiterweg an der Küste beschert mir noch viele traumhafte Ausblicke auf den Ozean, der heute im Dunst mit dem Horizont eins geworden ist. Hier in Asturien hat sich auch die Vegetation merklich verändert.

Am Küstenweg begleiten mich nun unendliche Heidewiesen, die gerade in der Hochblüte sind. Ganze Felder voll Heidekraut leuchten intensiv rosarot auf der kargen Weide. Auch hier am Küstenweg ist fast nichts los. Einmal sind mir zwei Wanderer entgegen gekommen und kurz vor Llanes überhole ich noch eine spanische Großfamilie.

Ich bedaure fast, dass der Weg heute nicht weiter geht und ich schon nach 23 Kilometern an der Herberge ankommen.

Viel zu gerne würde ich heute noch weiter wandern.

Die Herberge in Llanes/ La Portilla gefällt mir weniger gut. Das liegt schon daran, dass mir der Herbergsvater einfach unsympathisch ist und alles nach Kommerz aussieht.

Gut, die Herberge ist nicht wirklich schlecht, aber alles sieht nach Abzocke aus. Der Preis von 15 Euro (Bett) ist für Pilgerverhältnisse einfach zu hoch. Als Gegenwert gibt es nur kalte Duschen, sonst nichts.

Heute habe ich bemerkt, wie sich langsam die Maßstäbe bei mir verschoben haben. Die heutige Etappe von 23 Kilometern war für mich eine kurze und erholsame Strecke.

Ich bin schon früh angekommen und marschiere jetzt zum Einkaufen knapp zwei Kilometer zum Hafen von Llanes. Hätte es nicht zu regnen angefangen, wäre bestimmt mehr los gewesen. So wie Sirmione am Gardasee kommt mir auch Llanes vor. Pizzerien, Eisdielen, Hafenrestaurants. Postkarten für meine Kinder gibt es auch mal wieder. In einem Hafenrestaurant gönne ich mir einen Espresso und lese, so gut ich kann eine asturische Tageszeitung. Anschließend versorge ich mich im Ort mit Salami, Weißbrot, Äpfeln und Klopapier. Und Rotwein!

In meinem Bettenlager treffe ich einen Sizilianer wieder, den ich einige Tage zuvor schon einmal getroffen habe. Er ist ein bärtiger Typ, um die zwei Meter. Ebenso brachial wie sein Äußeres ist seine kräftige Hornbrille. Und als einziger Pilger schleppt er gleich zwei Rucksäcke mit sich herum. Einen riesen großen Rucksack am Rücken und einen weiteren am Bauch. Mit seinem Gepäck würde ich jedenfalls auf Anhieb zusammenbrechen. Für seinen Weg hat er alles aus Sizilien mit genommen. Einkaufen oder ein Pilgermenü sind für ihn tabu. Seine Füße sind total blutig und ich mache mir Gedanken darüber, was er wohl zu büßen hat.

Weil ich fließend italienisch spreche und auch sein Vertrauen habe, gelingt es mir, viel von ihm zu erfahren. Es gibt da in Italien diesen – er meinte – Staat im Staat. Und er meinte auch, dass diese Organisation“ nicht nur kriminell sei, sondern ihre Drogengelder auch in soziale Projekte investieren würde. Weil der Staat selbst das eben nicht mache. Und er ist auch davon überzeugt, dass man nicht so ohne weiteres nur „böse“ sagen könne. Trotzdem lebt er seit einigen Jahren in einem, wie er meint, unlösbaren Konflikt. Er wolle, dass Gott ihn bestraft und er wolle, wenn er zurückkehre:

Nur noch Gutes tun.

Nun, ob es Gott ist, der ihn bestraft, das weiß ich nicht. So, wie er daher kommt, ist es aber klar, dass er sich selbst bestraft und dafür wieder zu sich finden möchte. Was immer er war und was immer er tat, ich will es auch gar nicht so genau wissen. Doch immer wieder versucht er, mich als so eine Art Beichtstuhl zu benutzen, denn ich verstehe seine Sprache.

All das, was er mir erzählt, möchte ich eigentlich gar nicht hören. Doch er scheint mich einfach zu brauchen. Es scheint, als wäre es „sein Moment“, der nun gekommen ist. Und so erzählt er weiter von seinem unmoralischen Doppelleben, von Sünden, die er zutiefst bereue und von seinem Wunsch, ein besserer Mensch zu werden.

Als der Zweimetermann schließlich wie ein Häufchen Elend zu weinen beginnt, wie ein kleines Kind, kann ich nicht anders, als ihn zu umarmen. Doch helfen kann ich ihm nicht. Er wird sich hier auf seinem Weg weiter selbst kasteien und quälen. Er will es so und es scheint, sein einziges Ziel zu sein.

Am Abend, mitten im Regen, kommt auch Jean-Louis hier an. Wir haben uns ja schon ein wenig angefreundet und so freue mich über dieses Wiedersehen. Jean-Louis ist die letzten Tage hinter mir geblieben, hat aber heute eine Etappe von 50 Kilometern eingelegt. Zum Widersehen öffne ich gleich meine Flasche Rotwein, die wir dann im Austausch von diversen Lebensmitteln zu fünft trinken. Aber genießerisch über drei Stunden hinweg!

Am Abend beginnt in Llanes dann ein Volksfest. Alle paar Minuten erschüttern laute Böllerschüsse die Ruhe. Und jedes Mal ist unser Sizilianer im Bett hochgeschreckt und hat geschrien. Nach jedem Aufschrei gibt es ein kurzes „Scusi“ und er schläft wieder ein. Bis zum nächsten Böllerschuss.

Jean-Louis und ich liegen noch lange wach im Bett. Jeder macht sich wohl seine Gedanken, was die arme Seele so tief erschrecken muss. Jean-Louis meint: „un flic“ – ein Polizist. Er hat recht gehabt. Als er am nächsten Morgen fragt: „tu, un flic?“, erwiderte der Sizilianer „si un poliziotto“. Ja, ein Polizist! Er muss wohl schreckliches erlebt haben als Polizist in Sizilien. Und er hat immer auch bei den „Anderen“ mitgespielt. Als er nach dieser Frage schon wieder in Tränen ausbricht, hat auch Jean-Louis ihn ganz innig umarmt. Auch er war früher Polizist.

14 EL PERAL - LLANES (Camino de la Costa)

Christian, 14 EL PERAL – LLANES (Camino de la Costa)

 


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    Textauszug BURNOUT: Eine Wanderung auf schamlem Grat. Jakobsweg an der Kste EL PERAL – LLANES El Peral - Llanes Tag 14: 23 km, relativ flach (300 Höhenmeter). Über Pendueles, Riego, traumhafter Umweg an der Küste entlang. Gleich in der ersten Dämmerung habe ich mich etwas frösteln aufgemacht. Beim Gehen wird mir dann schnell etwas wärmer. Erst besetzt die N-634 wieder den Jakobsweg. Dann aber, bereits nach einer guten halben Stunde geht es ab in den Wald. Bald erreicht der Naturweg die grässliche Schneise der neuen Küstenautobahn. Wer hier vor der Wahl steht, entscheidet sich sicher gerne so wie ich für einen Umweg direkt an der Küste. Der Küstenwanderweg E-9 (Senda Costera) ist gut markiert, aber kein Teil des offiziellen Jakobsweges. Der Umweg beschenkt mich dafür mir reichhaltiger Natur. Weiden, wie im Allgäu. Felsklippen wie in Schottland. Einsam und friedlich ist hier alles. Hier draußen an den Felsklippen gefällt es mir wieder total gut. Es ist heute auch von der Temperatur her sehr angenehm zum Wandern. Etwa 18° Grad. Immer wieder kommt die Sonne ein wenig durch. Die heutige Strecke ist angenehm flach. Im Prinzip geht es immer so auf etwa 50 Höhenmetern dahin. Mal ein wenig rauf, mal ein wenig runter. Nach einer guten halben Stunde komme ich an eine Tafel mit der Aufschrift „Buffones de Arenillas“. Hier an dieser Stelle kann man bei einem entsprechenden Wellengang ein Naturschauspiel erleben. Durch den löchrigen Fels schießen dann wie bei einem Geysir Wasserfontänen in die Luft. Ihren Namen Steinschleudern haben die „Geysire“, weil sie auch allerlei Kieselsteine mit in die Luft schleudern. Deshalb steht auch dabei „Atención, Zona muy peligrosa!“ Soweit die Theorie der Geysire. Und es bleibt auch bei der Theorie, denn heute liegt der Ozean völlig ruhig unter mir. Wälder, Bäche und der Ozean Irgendwann wendet sich der Senda Costera halblinks ab vom Atlantik. Ich tauche ein in einen Eukalyptuswald. Hier riecht es heute so intensiv, als hätte ich mir Hustenbalsam auf den Hals geschmiert! Nach einem weiteren Kilometer im Wald stehe ich auf einer kleinen Anhöhe. Etwa eine Kirchturmhöhe unter mir mäandert der grüne Rio Purón in einem verwundenen Flusslauf dem Ozean entgegen. Hier stoße ich auf eine nicht ganz alltägliche Pilgergemeinschaft. Ein polnischer Opa, der den Weg schon einmal gegangen ist, macht nun mit seinen beiden Enkelkindern den Jakobsweg. Die beiden Burschen sind vielleicht 16 und 18 Jahre alt und sprechen englisch. Beide haben sie bestimmt doppelt so viel Gepäck wie ich auf ihren Schultern und sie tun mir ein wenig leid. Ich selbst tue mich mit meinem abgespeckten Rucksack heute viel leichter. Während die beiden hochrote Köpfe haben, macht mir mein Rucksack überhaupt nichts mehr aus. Ich schätze ihn auf je nach Wasservorrat auf nur noch etwa 10-12 Kilo. Ein knorriger alter Angler, der mit seinen Gummistiefeln im Wildbach steht, winkt mir zu. Würde ein deutscher Angler auch winken? In wunderschöner Landschaft marschiere ich frohen Mutes weiter in Richtung Andrín. Es ist ein kleines friedliches Dörflein mit vielen alten und schön hergerichteten Steinhäusern. Um halb Elf komme ich im Dorf an einer grünen Tafel vorbei, auf der geschrieben steht: „Plato del Peregrino, 8 Euro“. Soll ich mir heute einmal acht Euro gönnen? Während ich so überlege, sieht mich die Besitzerin des Lokals „muy costoso? Zu teuer?“ Ich zucke mit den Achseln. Sie sieht auf Ihre Uhr und meint, dass es normalerweise erst um eins etwas zu essen gibt. Normalerweise. Sie sagt mir jedoch auch, dass der Koch normalerweise früher kommt und dann fragt sie mich, ob ich nicht schon einmal Platz nehmen wolle. Die Besitzerin, die gerade ganz entspannt mit dem Besen den Garten des Restaurants sauber macht, bringt mir ungefragt erst einmal eine Flasche Rotwein, Wasser und frisches Brot. Nun ist die Entscheidung gefallen. Besser gesagt: Sie wurde gerade eben für mich gefällt! Der Restaurantgarten, in dem ich mich niederlasse ist mit einer Steinmauer umfasst. Aus jeder Ritze quellen Steinpolster und Blumen hervor. Die Tische sind kunterbunt zusammen gewürfelt und alles ist urgemütlich, um dort zu verweilen. Der einzige Gast Da ich der einzige Gast bin, blättere ich ein wenig im Reiseführer. Immer wieder schenkt mir die Besitzerin frischen Rotwein nach. Ich habe ihr schon signalisiert, sie dürfe gerne ein wenig langsamer machen. Weil ich mich nicht unbeliebt machen möchte, frage ich sie höflich, ob ich mir meine Schuhe ausziehen darf. Sie lacht laut und kann gar nicht verstehen, warum ich es nicht einfach mache? Ob ich Deutscher bin, meint sie lächelnd. Mit einem knatternden Motorrad kommt gerade der Koch an. Es muss der Koch sein, denn er hat eine weiße Schürze an. Die Besitzerin wechselt ein paar Worte mit ihm und stellt mich ihm vor. „Hier ist ein Pilger, der schon mächtig Hunger hat“. Auch er muss nun lachen und gibt mir die Hand. Gleichzeitig signalisiert er mir, dass er sich freue, heute für einen Pilger kochen zu dürfen. Er schlägt mir vor, mich überraschen zu lassen! Und darauf lasse ich mich gerne darauf ein. Wenig später folgt Suppe des Hauses, großer gemischter Salat, Schnitzel mit Gemüse und einem Berg hausgemachten Pommes. Danach muss ich noch den selbst gemachten Kuchen probieren, denn als Deutscher müsste ich ja etwas von Kuchen verstehen, meint die Besitzerin. Sind wir ein Kuchenvolk? Natürlich gibt es auch noch Kaffee und dann einen Schnaps, den ich unmöglich ablehnen hätte können. Dafür habe ich die zweite Karaffe Rotwein nur angetrunken. Oje, wie schwer werden meine Füße danach sein? Und da ist sie wieder, die Besitzerin, obwohl ich um die Rechnung noch gar nicht gebeten habe. Sie habe mich am Anfang ja gefragt, ob acht Euro zu teuer wären. Nein, nein, erwidere ich verlegen, das wäre vollkommen in Ordnung. Die Besitzerin meint es aber sehr ernst mit Ihrer Frage. Ob ich mit fünf Euro einverstanden wäre und ob es mir denn wirklich auch geschmeckt habe? Wahnsinn, auch das ist Spanien, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Immer mehr verstehe ich, warum Menschen, die irgendwann einmal selbst am Jakobsweg unterwegs waren, das Bedürfnis haben, eines Tages etwas von dem, was sie erlebt haben, zurückgeben zu wollen. Hier am Weg nehme ich dankbar an. Doch immer mehr bin ich tief in die Schuld der lieben Menschen gerutscht, die sich hier menschlich engagieren und den Weg erst zu dem machen, was er ist! Der Weiterweg an der Küste beschert mir noch viele traumhafte Ausblicke auf den Ozean, der heute im Dunst mit dem Horizont eins geworden ist. Hier in Asturien hat sich auch die Vegetation merklich verändert. Am Küstenweg begleiten mich nun unendliche Heidewiesen, die gerade in der Hochblüte sind. Ganze Felder voll Heidekraut leuchten intensiv rosarot auf der kargen Weide. Auch hier am Küstenweg ist fast nichts los. Einmal sind mir zwei Wanderer entgegen gekommen und kurz vor Llanes überhole ich noch eine spanische Großfamilie. Ich bedaure fast, dass der Weg heute nicht weiter geht und ich schon nach 23 Kilometern an der Herberge ankommen. Viel zu gerne würde ich heute noch weiter wandern. Die Herberge in Llanes/ La Portilla gefällt mir weniger gut. Das liegt schon daran, dass mir der Herbergsvater einfach unsympathisch ist und alles nach Kommerz aussieht. Gut, die Herberge ist nicht wirklich schlecht, aber alles sieht nach Abzocke aus. Der Preis von 15 Euro (Bett) ist für Pilgerverhältnisse einfach zu hoch. Als Gegenwert gibt es nur kalte Duschen, sonst nichts. Heute habe ich bemerkt, wie sich langsam die Maßstäbe bei mir verschoben haben. Die heutige Etappe von 23 Kilometern war für mich eine kurze und erholsame Strecke. Ich bin schon früh angekommen und marschiere jetzt zum Einkaufen knapp zwei Kilometer zum Hafen von Llanes. Hätte es nicht zu regnen angefangen, wäre bestimmt mehr los gewesen. So wie Sirmione am Gardasee kommt mir auch Llanes vor. Pizzerien, Eisdielen, Hafenrestaurants. Postkarten für meine Kinder gibt es auch mal wieder. In einem Hafenrestaurant gönne ich mir einen Espresso und lese, so gut ich kann eine asturische Tageszeitung. Anschließend versorge ich mich im Ort mit Salami, Weißbrot, Äpfeln und Klopapier. Und Rotwein! In meinem Bettenlager treffe ich einen Sizilianer wieder, den ich einige Tage zuvor schon einmal getroffen habe. Er ist ein bärtiger Typ, um die zwei Meter. Ebenso brachial wie sein Äußeres ist seine kräftige Hornbrille. Und als einziger Pilger schleppt er gleich zwei Rucksäcke mit sich herum. Einen riesen großen Rucksack am Rücken und einen weiteren am Bauch. Mit seinem Gepäck würde ich jedenfalls auf Anhieb zusammenbrechen. Für seinen Weg hat er alles aus Sizilien mit genommen. Einkaufen oder ein Pilgermenü sind für ihn tabu. Seine Füße sind total blutig und ich mache mir Gedanken darüber, was er wohl zu büßen hat. Weil ich fließend italienisch spreche und auch sein Vertrauen habe, gelingt es mir, viel von ihm zu erfahren. Es gibt da in Italien diesen – er meinte – Staat im Staat. Und er meinte auch, dass diese Organisation“ nicht nur kriminell sei, sondern ihre Drogengelder auch in soziale Projekte investieren würde. Weil der Staat selbst das eben nicht mache. Und er ist auch davon überzeugt, dass man nicht so ohne weiteres nur „böse“ sagen könne. Trotzdem lebt er seit einigen Jahren in einem, wie er meint, unlösbaren Konflikt. Er wolle, dass Gott ihn bestraft und er wolle, wenn er zurückkehre: Nur noch Gutes tun. Nun, ob es Gott ist, der ihn bestraft, das weiß ich nicht. So, wie er daher kommt, ist es aber klar, dass er sich selbst bestraft und dafür wieder zu sich finden möchte. Was immer er war und was immer er tat, ich will es auch gar nicht so genau wissen. Doch immer wieder versucht er, mich als so eine Art Beichtstuhl zu benutzen, denn ich verstehe seine Sprache. All das, was er mir erzählt, möchte ich eigentlich gar nicht hören. Doch er scheint mich einfach zu brauchen. Es scheint, als wäre es „sein Moment“, der nun gekommen ist. Und so erzählt er weiter von seinem unmoralischen Doppelleben, von Sünden, die er zutiefst bereue und von seinem Wunsch, ein besserer Mensch zu werden. Als der Zweimetermann schließlich wie ein Häufchen Elend zu weinen beginnt, wie ein kleines Kind, kann ich nicht anders, als ihn zu umarmen. Doch helfen kann ich ihm nicht. Er wird sich hier auf seinem Weg weiter selbst kasteien und quälen. Er will es so und es scheint, sein einziges Ziel zu sein. Am Abend, mitten im Regen, kommt auch Jean-Louis hier an. Wir haben uns ja schon ein wenig angefreundet und so freue mich über dieses Wiedersehen. Jean-Louis ist die letzten Tage hinter mir geblieben, hat aber heute eine Etappe von 50 Kilometern eingelegt. Zum Widersehen öffne ich gleich meine Flasche Rotwein, die wir dann im Austausch von diversen Lebensmitteln zu fünft trinken. Aber genießerisch über drei Stunden hinweg! Am Abend beginnt in Llanes dann ein Volksfest. Alle paar Minuten erschüttern laute Böllerschüsse die Ruhe. Und jedes Mal ist unser Sizilianer im Bett hochgeschreckt und hat geschrien. Nach jedem Aufschrei gibt es ein kurzes „Scusi“ und er schläft wieder ein. Bis zum nächsten Böllerschuss. Jean-Louis und ich liegen noch lange wach im Bett. Jeder macht sich wohl seine Gedanken, was die arme Seele so tief erschrecken muss. Jean-Louis meint: „un flic“ – ein Polizist. Er hat recht gehabt. Als er am nächsten Morgen fragt: „tu, un flic?“, erwiderte der Sizilianer „si un poliziotto“. Ja, ein Polizist! Er muss wohl schreckliches erlebt haben als Polizist in Sizilien. Und er hat immer auch bei den „Anderen“ mitgespielt. Als er nach dieser Frage schon wieder in Tränen ausbricht, hat auch Jean-Louis ihn ganz innig umarmt. Auch er war früher Polizist. Camino de la Costa/ Jakobsweg an der Kste H1 Inhaltsverzeichnis EL PERAL – LLANES Array ( ) Inhalt H2 zum Camino de la Costa/ Jakobsweg an der Küste, Küstenweg Array ( ) Jakobsweg an der Küste, Burnout, Inhaltsverzeichnis H3 Array ( ) 1313Inhalt aus dem Buch BURNOUT: Eine Reise auf schmalem Grat , Jakobsweg an der Kueste und additive Fotos hier auf der Jakobsweg-Webseite (Fotos im Buch nicht enthalten)
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    Fotos zum Camino de la Costa/ Jakobsweg an der Kueste Beitrag Keywords zu diesem Jakobsweg-Beitrag:

    Camino de la Costa, Camino del Norte