ZUMAIA – DEBA
Zumaia – Deba
Tag 3: 13 km, die es in sich haben, ca. 650 Höhenmeter, über Itziar.
Das Erwachen am dritten Tag ist entmutigend und zermürbend. Schon in der Nacht hat es ohne Unterlass an mein Fenster geprasselt. Das hat dazu geführt, dass ich von Magellan und einem untergehenden Piratenschiff auf hoher See geträumt habe.
Im tristen Morgengrauen schüttet es jetzt noch immer wie aus Kübeln. Aus den verstopften Fallrohren der Dachrinnen spritzt das Wasser mit dem Druck der vollen Wassersäule waagrecht heraus. Die Sicht ist gleich Null. Das Meer unter mir ist verschwunden. Ich kann es beim Fortissimo der aufschlagenden Regentropfen nicht einmal mehr hören. Die Pfützen haben sich über Nacht zu knöcheltiefen Tümpeln ausgedehnt. Und nun stehe ich gleich vor der ersten unangenehmen Herausforderung des Tages: Ich muss zehn Meter hinüber zum Haupthaus laufen. Dort gibt es Frühstück.
Zehn Meter im vollen Wasserfall!
Geschafft. Nun erst einmal ausgiebig Frühstücken, ausnahmsweise. Ich hoffe, dass sich der Wolkenguss wieder etwas legen wird. So kann es ja nicht lange bleiben. Oder doch?
Bis halb zehn hat der Regenschauer nichts an seiner Stärke verloren. Die anderen wollen abwarten. Und das, obwohl sie alle professionelle Regenausrüstung, dichte Trekkingschuhe und ein Cape für den Rucksack haben.
Mein Poncho hingegen besteht nur noch aus blauen Fetzen, an denen der Werbeaufdruck sich aber hartnäckig gehalten hat.
Meine grau-orange farbenen Turnschuhe haben zwar einen Trekking Look, sind aber nichts anderes, als sich vollsaugende Fußbandagen. Ebenso unsinnig sind meine weißen Turnschuhe, die ich als Ersatz mitgenommen habe. Erst recht meine glatten, abgelatschten, nach gemachten Birkenstock. Die Sandalen lasse ich hier stehen. Sollen sie doch in Zumaia bleiben. Weil ich mit meiner Ausrüstung gerade am Fußboden sitze, nehme Sie in die Hand und stelle sie einem Pilger vor die Füße. Es beginnt, lustig zu werden. Er lehnt ab.
Vielleicht wird sich ein anderer Pilger noch darüber freuen. Man weiß ja nie. Jetzt beginnt meine Fantasie, überzuschäumen.
Aus einem meiner beiden blauen Müllsäcke fertigte ich mir eine Art Pariser für meinen Rucksack. „Seht her, wie ich das mache!“
Ich möchte den Regen natürlich „überleben“ und fühle mich jetzt wie mitten in der Survivalserie mit Bear Grylls:
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Ausgesetzt in der Wildnis
„Wenn ihr die nächsten Tage überleben wollt…“, sage ich reißerisch, „dann müsst ihr euch was einfallen lassen! Seht genau hin, wie ich das mache!“ Mit der Nagelschere schneide ich vor den anderen in die Mülltüten vier Golfball große Löcher hinein, wo ich dann Tragegurte meines Backpacks hindurch fädele. „Ich nehme sie noch mal kurz raus und mach dass nochmal, damit es alle sehen können. Ihr wollt doch überleben, oder?“
Mit einer Semmel in der Hand, die mir als Mikrofon dient, erkläre ich meinem verdutzten aber doch recht erheiterten Publikum nun auf Englisch die soeben erfundene Survivaltechnik. „Yeah that’s it! Let’s take a look at this!“
Erst will ich die Löcher mit Leukoplast abdichten und erkläre das meinem erheiterten Publikum. „Oh Yeah, without any holes you will stay dry and alive!“
Dann fällt mir Gott sei Dank ein, dass mein Survival-Patent so schon beim ersten Griff in den Rucksack zerreißen würde. Hin und wieder werde ich ja was aus meinem Rucksack brauchen. Ich darf das nicht zukleben. „Oh no, You can not seal the holes“.
Die anderen beginnen zu kichern und fragen „Bear Grills“, wo es denn heute noch hingehen soll? Ich antworte in meine Semmel „Oh, I will show you everything to survive the next 12 km“.
Ja! Heute bin ich es, den es als ersten in den Regen zieht. Endlich ist es einmal umgekehrt!
„Yeah – Such a great feeling outside° !“
Ingrid folgt mir etwas befremdet und die anderen scheinen „Bear Grylls“ nicht wirklich zu trauen.
Wie zwei übermütige Kinder kommen wir uns vor. Ganz so, als ob wir gemeinsam die ultimative Mutprobe machen. Und wir müssen natürlich weiter lachen, weil uns das Wasser von oben sofort kräftig durchspült.
Unten herum sieht es nicht viel besser aus. Alles eine Frage der Zeit, bis es nass eingeht.
Bei den ersten Schritten versuche ich noch, wenigstens den allergrößten Pfützen auszuweichen. Nach wenigen Minuten kommt aber schon der vorhersehbare und eklige Moment, in dem das Wasser von allen Seiten in meine Schuhe eindringt. Es lebe das Belüftungssystem!
Es ist also so weit. Ingrid bricht fast ab vor lauter Lachen. Ihr Moment der eigenen Vollflutung kommt nur wenige Sekunden später.
Wenige Meter vor ihr springe ich absichtlich mit einem lauten „bon Caminooooo“ in eine tiefe, superdreckige Megapfütze. Das Gewicht meines Rucksacks verleiht mir beim Eintauchen noch zusätzliche Einschlagskraft.
Die Oberflächenspannung der Pfütze weicht explosionsartig den Gravitationskräften meiner Schuhgröße 47 und hinterlässt einen Krater. Am Poncho von Ingrid haben die Einschläge der Fangopackung eine wahre Eruptionslandschaft hinterlassen. Oje, wird sie mir jetzt böse sein?
Schließlich ist Ingrid eine ehrwürdige Dame und kein junger Depp, der hier bei mir gerade durchkommt.
Aber Ingrid muss ebenfalls lachen. Sie lässt ihren Poncho, wie er ist und wischt sich nur die Dreckspritzer aus ihrem Gesicht. Gerade noch einmal gut gegangen!
Im Laufe der nächsten halben Stunde denke ich: Es gibt nur ein nass, kein nässer. (Obwohl ich mir da später nicht so sicher bin).
Für das erste ist eine recht erheiterte Wanderstimmung
hergestellt und wir sind voll im Element. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ans Kreuz genagelt
Nass bis auf die Haut und vor uns hingackernd entdeckt Ingrid den absolut krassen Oberhammer: Eine original baskische Vogelscheuche. Hier haben sie einen echten Raben gekreuzigt. Das zerzauste Federkleid ist schauderhaft an eine senkrechte und eine waagerechte Dachlatte genagelt. Spiel mir das Lied vom Tod hätte nicht grausamer sein können.
Nach einem ersten abgewürgten Lachen überkommt uns beide ein schauderhaftes Gefühl. Land und Leute sind hier einfach anders. So ist es. So gruselig das Ganze auch ist, wir schütteln unsere Köpfe, sehen uns an und müssen schon wieder lachen. Es hilft nichts.
Es folgt eine längere Strecke, auf der wir beide einfach nur fröhlich sind. Fast alles bringt uns zu lachen.
Ingrid ist die beste Lauflehrerin, die mir je begegnet ist. Selbst dem starken Regen ringt sie noch tapfer eine positive Seite ab. Sie meint, dass nun viele Pilger aufgeben und abbrechen werden. Das wiederum wird uns dauerhaft leere Herbergen und Abgeschiedenheit bescheren. So kann man es auch sehen. Nichts, wirklich nichts auf der Welt kann Ingrid ihren Glauben an das Gute nehmen.
Weil ich im Regen nichts sehen kann und weil Ingrid diesen Weg schon einmal gegangen ist, erzählt sie eben einfach, was ich jetzt alles sehen würde, wenn es schön wäre. Es sei einer der schönsten Abschnitte. Der Ozean sei hier besonders prächtig. Und die Wiesen besonders grün. Ständig höre ich Ermutigendes, Verheißungsvolles und Zauberhaftes. Ingrid scheint diese „Regenwolke“ einfach nicht zu kennen, die mir immer wieder ungebeten dazwischen funkt.
Aus den bayrischen Alpen kenne ich die wackeligen Holzkonstruktionen, die zum Überqueren eines Stacheldrahtzaunes zwischen zwei Weiden dienen. Hier ist ein solcher Übergang in baskischer Vollendung. Man hätte für eine Weide auch Stacheldraht nehmen können. Aber nein: Es musste rasiermesserscharfer Natodraht sein. Krass.
Der Antritt befindet sich natürlich auf einer „Insel“ mitten im tiefsten Schlamm. Auf der Oberfläche schwimmt gelblich braun schimmernd das, was Kühe eben so von sich geben.
Das erste Mal bekommt auch Ingrids Poncho ein paar Blessuren ab. Meiner ist längst schon zur Lachnummer verkommen. Wenigstens bleibe ich mit dem Fetzen nicht am Zaun hängen.
Bestimmt hätte ich mir zu Hause in einer ähnlichen Nässe längst Pest und Cholera, zumindest aber eine sofortige Grippe ausgemalt. Meine „Regenwolke“ hätte postwendend dafür gesorgt, dass ich auch tatsächlich krank werde. Daran denke ich hier keine Sekunde!
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Eine deutliche Besserung muss sich wohl in meinem Gehirn eingestellt haben!
Gibt es neben der „Regenwolke“ auch noch so etwas wie positive Kräfte in meinem Gehirn? Fast scheint es so. Ich bemerke nämlich, dass das Wasser in den Schuhen beim Gehen wärmer wird, ganz so wie in einem Neoprenanzug. Sehr gut. Und das liegt nicht nur an den durchwateten Kuhfladen, sondern an der eigenen Körperwärme.
Das ist doch schon mal ein Anfang. Und ich bin sogar mutig: Denn ich stelle mir vor, wie die Wolken allmählich aufreißen werden, wenn ich einen Zauberspruch loslasse. Ingrid hat blauen Himmel schon länger herbeigeredet. Und so bleibt es ein Geheimnis, ob es mein Zauberspruch oder Ingrids unerschütterlicher Optimismus war, der das Wetter verbessert hat.
Weg mit dem Poncho. Heraus mit der Brotzeit. Jetzt geht es mir gut. Richtig gut.
Ingrid und ich verstehen uns nun blind. Das Wetter hat uns zusammen geschweißt. Auch ohne große Worte weiß jeder, wie der andere tickt. Das gibt mir eine enorme Sicherheit und Vertrautheit. Endlich reden wir auch über Persönliches. Jetzt werden die Abstände zwischen uns beiden freier. Jeder für sich. Und doch gemeinsam. Mal ist sie voraus, mal ich.
Über mehrere Hundert Meter hinweg können wir unsere „Verbindung“ halten.
Ein tolles Gefühl für mich. Bald bleiben wir bei kurzen Stopps des anderen nicht mehr stehen. Wir wissen auch so, dass wir vom gleichen Rhythmus durchflutet sind und mühelos zusammen bleiben werden.
Mit gebührendem Abstand stoßen wir auf ein uraltes Gehöft und ein paar ländliche Häuser in Elorriaga. Hinreißende Steinfassaden tun sich da hervor. Duftende Bauerngärten mit farbenprächtigen Stauden säumen den Weg. Auf engstem Raum wuchern rosarote Fuchsien bis vor unsere Füße. Der Regen kann ihnen nichts anhaben.
Hoch über dem Ozean
Mal näher, mal weiter weg: Ständig begleitet uns zur Rechten nun wieder der Ozean. Fantastisch. Und plötzlich kommen sogar ein paar Sonnenstrahlen durch. Es geht voran Richtung Deba: „Deba Deba Du!“ Hört sich irgendwie wie eine Bank an.
Nach viel Natur durchwandern wir das romantische Dörfchen Itziar, wo uns ein Pilger mit seinem Esel entgegen kommt. Er macht den Jakobsweg „para atras“, also rückwärts. Das ist viel schwieriger, weil man die Markierungspfeile von hinten nur selten zu sehen bekommt. Einige Pilger haben deshalb damit begonnen, den Rückwärtsweg mit einer blauen Schnecke zu markieren. Der Dreiviertelkreis mit Pfeilspitze soll die Gegenrichtung aufzeigen.
Nach Deba geht es auch im Schneckentempo zwei Kilometer berg ab. Steil, sehr steil. Die nassen Pflastersteine sind so glitschig, dass ich ein extrem ungutes Gefühl habe. Es ist so, als ob ich mit steifen Schischuhen ohne Profil eine Eisbahn abwärts rutschen müsste. Ich habe ja auch keine Stöcke bei mir. Meine „Regenwolke“ fängt also sofort wieder damit an, die Rutschpartie in diverse Unfallszenarien zu verwandeln.
Ingrid sieht es lockerer:
„Wenn wir in Santiago de Compostela angekommen sind, dann kann uns hier nichts passiert sein!“
Über diesen Satz denke ich lange nach. Wenn wir angekommen sind, dann kann uns hier nichts passiert sein? Als ob Ingrid sich über alle Axiome der Physik hinweggesetzt hätte und vom Standpunkt der Zukunft aus die Gegenwart mal eben als Vergangenheit betrachtet hätte. Das ist mir zu hoch. Die Aussage, ob nun so gewollt oder nicht, bekommt irgendwie eine spirituelle Dimension.
Ohne dass ich es laut gesagt hätte, antwortet Ingrid auf mein gedachtes Häh? „Ist doch so, oder?“
Meine „Regenwolke“ konzentriert sich davon unbeeindruckt auf das reale Eintreten eines negativen Ereignisses. Zum Beispiel ein Sturz, so wie es anderen hier passiert ist. Sie wartet förmlich darauf, dass am schmierigen Untergrund etwas triumphal schief geht. Sie wird enttäuscht. Fast jedenfalls. Denn wir laufen zu Fuß bis nach Deba auf Meereshöhe bergab. An der Herberge sind wir glatt vorbei getrampelt, sie befindet sich deutlich weiter oben.
Für Ingrid wieder kein Problem. Wir können doch einkaufen, frische Tomaten essen, das Städtchen und die Kirche bewundern. Ingrid hat sogar noch eine weitere Erleuchtung: Ich könnte Gewicht sparen
und meine Turnschuhe mit der Post nach Hause schicken. Aus dieser Eingebung wird sogleich ein sonderbares Päckchen an meine Familie. Feuchte Turnschuhe mit liebevoll geschriebenen Postkarten. Diese gibt es in Deba kostenlos.
Für den Regen kaufe ich mir nun offene Sandalen mit Profil. Leider gibt es Schuhgröße 47 nicht, sondern nur 45. Meine Zehen stehen also ein wenig hervor. Das macht aber nichts. Das Gesamturteil war: Bequem.
Getrennt kaufen Ingrid und ich ein wenig ein. Rotwein, frischen Chicorée, Tomaten, Weißbrot und haltbare Hartwurst. Dazu zwei reife dunkelrote Äpfel. Ich finde es schade, dass es so schöne Tante Emma Läden bei uns nicht mehr gibt. Jedes Stück wird hier mit einer am Türrahmen baumelnden Balkenwaage abgewogen.
Der Ladenbesitzer, ein patriarchalisch ergrauter Herr ist neugierig. „Peregrino, no?
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Alemán, bueno!
Bayern Munken! Beckenbauer!“ Er schenkt mir noch ein paar frische grüne Chilischoten für meine Mahlzeit. „Mejor, Mejor“ und „oso zorrotzak“ murmelte er vor sich hin. Letzteres bedeutet auf Baskisch „sehr scharf“. Zorrotzak – Ein gutes Wort für scharf, wenn man niesen und anschließend fluchen muss.
In einem asiatischen Ramschladen gönne ich mir für einen Euro und neunzig noch einen schicken blauen Poncho. Der wird es locker mit dem hässlichen Werbegeschenk aufnehmen können.
Das kleine Deba ist so steil in den Fels gebaut, dass es einen Dorffahrstuhl in die Höhe gibt. Eine gute Idee. Wie auf der Außenseite eines Hochhauses schweben wir damit in die höher gelegenen Teile Debas empor. Mit einer blechernen Ansage meldet uns der Lift dann, dass wir an der Endstation angekommen sind.
Die Herberge ist geräumig und verbirgt sich im Turnbereich des früheren Grundschulgebäudes.
Im großflächigen Aufenthaltsbereich lerne ich Bill kennen, einen kräftigen und sympathischen Amerikaner aus Sarasota. Bill ist heute beim Abstieg böse ausgerutscht und hat überall Schürfwunden davon getragen. Er liebt deutsche Musik wie Rammstein und Nina Hagen.
Zusammen mit Bill fahre ich mit dem gläsernen Lift am Nachmittag noch einmal hinunter in das Herz von Deba. Das Wetter ist schön geblieben und ich möchte ein bisschen was sehen!
Die Gemeinde Deba zählt etwa 5.000 Einwohner und ist stolz auf ihre „etwa 130 Gehöfte, die über das gesamte Gemeindegebiet verteilt sind“. Spaniens offizielles Tourismusportal schreibt über Deba: „Deba steht für den traditionellen Tourismus im positiven Sinne: weg vom Massentourismus. [5]
Auf der Suche nach Ruhe und Entspannung“.
Die Atmosphäre gefällt mir auf Anhieb. Im Zentrum beherrscht die gotische Kirche „Santa María la Real“ mit ihrem bezaubernden Vorplatz den Charakter des Dorfes. Ebenso sehenswert ist die Wallfahrtskirche „Nuestra Señora de la Asunción“.
Dann aber will ich über einen kleinen Park hinab zum herrlichen Sandstrand gehen. Zum Baden ist es zu kalt. Aber es reicht für ein erfrischendes Fußbad mit hochgekrempelter Hose. Schon wieder einmal bin ich weit und breit der einzige Mensch. Bill fotografiert lieber.
Bill lädt mich ein, mit ihm gemeinsam den Appalachian Trail mit ihm zu machen. Dieser ist mit 3.500 Kilometern einer der längsten Fernwanderwege der Welt. Er führt parallel zur Ostküste der USA und durchstreift 14 Staaten. Wer weiß, vielleicht werde ich das Angebot eines Tages annehmen.
Bill ist es auch, der uns für den nächsten Tag „richtig Mut“ macht. Im amerikanischen Reiseführer steht wörtlich:
„WARNING! This is a beautiful but difficult high level route through some very remote country. It would be unwise to tackle this in bad weather if you where alone or unsure of your capabilities. It is approximately 22 km without any sort of accomodation“.
Jetzt hat meine „Regenwolke“ endlich wieder was zu tun: Extrem schwer also, bei schlechtem Wetter natürlich unmöglich und davon 22 km ohne Zwischenstation. Das kann nie und nimmer klappen.
Auch ein etwas komisches Ehepaar aus Neuseeland liest ähnliches im Reiseführer. Schon merkwürdig. Jeder der beiden hat einen eigenen Reiseführer dabei. Allerdings beide den gleichen. Sind alle Neuseeländer so? Und zu lachen haben die beiden schon lange nichts mehr. Dafür nerven sie uns in der Herberge alle, weil sie sehr aufdringlich von jedem etwas schnorren, ohne selbst zu geben.
Dann mal Gute Nacht.
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Der Rotwein hat mich aufgeheitert. Das kauzige Ehepaar will jetzt auch noch un-be-dingt mein Bett direkt am Fenster. Ja spinnen die denn? Hier liegen meine Habseligkeiten und basta. Oder doch nicht basta? Komm, was soll’s, ich habe heute einen so schönen Tag gehabt, weg mit dem Bett!
Ohne dass ich weiß warum, mache ich also mein Bett frei und nehme ein anderes.
„Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden…“.
Und sein Wille ist tatsächlich geschehen. Wie es das Schicksal der Nacht so will, ist das Bett am Fenster exakt jene Stelle, an der sich das Dach der Herberge als äußert undicht erweist. Ohne dass es die beiden schlafenden Neuseeländer rechtzeitig bemerken, sind sie nass.
Mit Stirnlampen sollen sie dann mitten in der Nacht in den Vorraum geflüchtet sein und sich am Fußboden ausgebreitet haben.
Ich selbst erfahre freilich erst am nächsten Morgen davon, denn ich habe eine sehr gute Nacht hinter mir.
Mein Bett ist trocken geblieben, wie fast alle anderen Betten auch.