DEBA – MARKINA-XEMEIN
Deba – Markina-Xemein
Tag 4: 24 km, ca. 950 Höhenmeter, über Mutriko, Olatz. Die schwersten Regenfälle seit 180 Jahren.
Die Wettergefahren-Fruehwarnung.de schrieb am 17 Juni 2010 über das Tief Eliane: „Nur wenige Tage nachdem starke Regenfälle in Spanien zwei Menschen das Leben gekostet haben, kamen in Folge der schwersten Regenfälle seit mehr als 180 Jahren in Südfrankreich mindestens 25 Menschen ums Leben. Innerhalb von nur 24 Stunden fielen bis zu 350 mm Niederschlag… in Asturias 169 mm und weiter östlich in Gijón 140 mm…“ [6]
Ja, mit Eliane bin ich mitten drin!
Grenzerfahrung mit Eliane
In mein Tagebuch habe ich später geschrieben:
„Grenzerfahrung, Atlantiktief, strömender Regen extrem, wahnsinnig kalt, Sturm, Bergpfade steil und reißende Wildbäche. Gehe im Schlamm, knöcheltief Wasser, Passagen mit knietiefem Schlick. Alles nass, Hände dicke Klumpen, höllisch aufgeschwollen, blau, steif.“
Doch erst einmal muss es heute losgehen. Und meine Stimmung ist gar nicht so schlecht. Vielleicht liegt das auch ein wenig daran, dass ich mich vor lauter Schadenfreude fast verbiege, weil die beiden Neuseeländer heute so hilflos aussehen. Trotzdem schnorren sie sich schon wieder ein Frühstück zusammen. Am Geld scheint das allerdings nicht zu liegen, wenn man sich die teure Ausrüstung mal so ansieht.
Ingrid behält damit Recht, dass heute fast alle Pilger desillusioniert abbrechen oder zumindest mit der Eisenbahn weiter ziehen. Auch Bill.
Nur noch eine Hand voll Pilger entscheidet sich heute für diese Etappe. Darunter Jean-Louis, ein weißbärtiger Franzose, der von sich selbst sagt, er sieht mittlerweile aus wie „Père Noël“ – der Weihnachtsmann.
Unmittelbar vor der Herbergstüre ist der steile Asphaltweg überflutet und eine braune Brühe rauscht zu Tale.
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Die guten Mächte sind stärker
Ich selbst finde langsam Gefallen an der Extremsituation. Bei mir setzt genau die gegenteilige Wirkung ein, als bei den anderen. Endlich ist eine natürliche Gewalt stark genug, um mir auch noch meine letzten störenden Gedanken aus den Hirnwindungen zu prügeln!
Meine „Regenwolke“ hat dem nichts mehr entgegen zu setzen. Sie scheint sich zu denken: Wenn der jetzt zum Wandern geht, dann sind diese Mächte stärker als ich. Kleinlaut gibt sie hier ihren Widerstand auf. Für immer?
Auch Ingrid scheint die Veränderung, die bei mir gerade vonstattengeht, zu gefallen. Die an die Herbergstüre unter das kleine Vordach gedrängten Pilger können nicht recht glauben, dass wir uns mit einem lauten „Juhu“ in das Unwetter stürzen.
Heute bin ich nicht Bear Grylls. Heute bin ich ICH!
Der Regen ist mein Freund. Es hätte ja auch furchtbar schwül und heiß sein können. Besser so. Ingrid und ich pfeifen die Warnungen des amerikanischen Reiseführers in den Wind und lassen Deba-Deba-Du singend hinter uns.
Glory Holes
Meine Sandalen, in denen ich der Rutschfestigkeit wegen Sportsocken und Leukoplast trage, sind jetzt der ultimative Survival-Pack! So wie das Wasser kommt, sprudelt es auch gut hörbar sofort wieder hinaus. Ich kann also stets die direkte Linie nehmen. Ohne Rücksicht auf herabfließende Sturzbäche und „Glory Holes“.
So hat Bill die Schlammlöcher genannt. Bei den alten amerikanischen Goldschürfen sind mit „Glory Holes“ die tiefen schlammigen Becken unterhalb eines Wasserfalls gemeint, in denen sich das Gold über Jahrhunderte ansammeln konnte. Gold ist 18-mal so schwer wie Wasser.
So gesehen sind meine Füße auch Gold. Denn ganz sicher sind sie heute 18-mal so schwer wie Wasser!
Jedes Schlammloch – sorry, „Glory Hole“ – erheitert mich aufs Neue. Auch wenn ich hier kein Gold finden werde. Ich bin gerade dabei, mich selbst zu finden. Viel besser!
Mein eigener Reiseführer verspricht für diese sehr gebirgige Etappe viele sensationelle Aussichtspunkte. Ingrid und ich zeigen jedes Mal in den Regenvorhang hinein und sagen laut „und hier, meine Damen und Herren sehen sie…“
Natürlich sehen wir nichts. Aber so unmittelbar eins bin ich mit dem nassen Element auch noch nie gewesen. Sieht man einmal von den ersten neun Monaten meines Lebens ab! Wenn man das Nass sein erst einmal akzeptiert hat, macht es auch Spaß. Und mit dem Tempo können wir heute sogar wunderbar unsere Innentemperatur steuern. Nur stehen bleiben geht nicht. Wir würden in unseren durchnässten Klamotten sofort die garstige Außentemperatur von 4° Celsius zu spüren bekommen.
Trotz all dem Regen bleibt die Natur nicht unbemerkt. Dichte Mischwälder, mitten in Spanien. Kleine Trampelpfade, wie in den Alpen. Und Blumen über Blumen, die selbst im dichtesten Grau noch in den allerschönsten Farben leuchten. Bergauf, bergab geht es heute mit einem starken Antrieb dahin.
Nichts hätte schöner sein können, als auf dem durchnässten, samtweichen Untergrund zu gehen.
Ein Schritt bequemer, als der andere.
Hier kann man keine Knieschmerzen bekommen.
In meinem Tagebuch steht: „Kein bewohntes Gebiet. Wenn ich bei diesen Temperaturen allein wäre und irgendwo abrutschen würde, dann wäre das der sichere Tod durch Unterkühlung. Finden würde mich hier so schnell keiner…“
Allerdings denke ich nicht im Geringsten an eine Gefahr. Meine Welt besteht augenblicklich aus Ingrid und mir, eingehüllt in eine graue, undurchsichtige Regenwand, aus purer Lebensfreude.
Heute fallen mir ganz andere Worte ein, als gestern: „großartig, spüren, erleben, durchatmen, Kraft“.
Die Umgebung wird kleiner, das Bewusstseinsfeld dafür umso größer. Und das ist eine sehr ermutigende Beobachtung. Ich kann nun das erste Mal ein wenig in mich gehen. Die Mischung aus einer von Reizen reduzierten Welt und einem euphorischen Erschöpfungszustand ist eine einzigartige Grenzerfahrung für mich. Zwar bin ich aus den Bergen meiner Heimat schon einiges gewohnt. Auch bei der Bundeswehr war ich in einer 12 köpfigen Gebirgseinheit, die bei jedem Wind und Wetter in den Bergen unterwegs war. Tränen und Erschöpfung kenne ich. Aber diese Euphorie und die Heiterkeit, die sich nun einstellen sind mir in der geballten Ladung so schon lange nicht mehr unter gekommen.
Im Normalfall besteht die Welt eher aus Reizüberflutung und seelischer Leere. Jetzt ist es genau umgekehrt.
Ich bin Gott dankbar
Ich bin Gott wirklich dankbar für diese herrliche Erfahrung der inneren „Reinigung“ und ich hoffe, dass es noch weitergeht mit solchen Erfahrungen am Jakobsweg. Noch weiter an die eigenen Grenzen. „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“.
Ja, ich bin gerade wieder dabei, ganz bewusst über das Vaterunser nachzudenken. Wie im Himmel, so in meiner Seele: Das würde ich mir wünschen.
Auch Ingrid scheint das große Reinemachen aus dem Himmel heute gut zu tun. Auch sie ist völlig ausgebrannt gewesen, bevor sie den Jakobsweg begonnen hat. Bis zur letzten Minute hat sie ihre alte Mutter gepflegt und sich selbst dabei aufgeopfert. Sie hat vom Jakobsweg geträumt, aber sich all die Zeit selbst verloren. Sie hat sich immer gesagt: Wenn es so weit ist, dann lieber Gott, dann gehe ich los.
Ingrid ist mir schon zwei Millionen Schritte voraus, ich höre ihr einfach zu. Jetzt im Regen scheint plötzlich ihre Mauer in sich zusammen gefallen zu sein. Sie erzählt nicht vom Beruf oder vom Jakobsweg. Sie erzählt von sich selbst. Und ich habe fast das Gefühl, sie erzählt es auch zum ersten Mal sich selbst.
Welch unglaubliche Last muss in all den Jahren auf ihr gelegen haben. Und welch unglaublichen Lebenswillen hat sie noch immer. Zum ersten Mal kommt auch bei Ingrid ein bisschen „Kindheit“ durch.
Als sie dann von den letzten Stunden ihrer Mutter erzählt, verhallen ihre Worte im lauten Prasseln des Regens. Ich muss schlucken. Es schnürt mir die Kehle zu. Ich bleibe einen kleinen Moment stehen und halte meine beiden Handflächen nach oben in den Regen, bevor sie sich zur Faust ballen und ich in Tränen ausbreche.
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Jeder hier hat seine Geschichte.
Ingrid bemerkt nichts von meinen Tränen und wir stapfen sehr still weiter. Dann bleibt sie stehen. Und sie bittet mich, kurz ihren Pilgerstab zu halten.
Ich zögere. Ihr Pilgerstab ist ihr so heilig, dass ihn bisher sicher noch nie irgendjemand berühren durfte. Als ich ihn ganz behutsam in die Hand nehme, fallen mir viele merkwürdige Sachen wieder ein. Wie sie mit ihrem Stock gesprochen hat. Wie sie ihn überall in Reichweite ganz liebevoll postiert hat. Wie sie sich an ihm festgehalten hat.
Ingrid holt ein Stück Wurst und eine Scheibe Brot heraus, bricht es und teilt es mit mir. Am liebsten würde ich davon laufen. Ich bin einfach noch nicht so weit.
Da ist immer noch, trotz all dem Regen, eine Fassade um mich herum. Ingrid zu Umarmen traue ich mich nicht. Lieber pflücke ich ihr ein paar nasse Huflattichblätter vom Wegesrand zum dazu essen. Aber in erster Linie kann ich damit ein bisschen von meinen Gefühlen ablenken und wieder Bear Grylls spielen.
Ich wäre auch gerne soweit wie Ingrid. Aber ich habe auch Angst vor diesem einen Augenblick, an dem meine Mauer fallen wird. Wird dieser Augenblick bei mir kommen? Und was wird dann sein?
Genau aus diesem Grund bin ich vielleicht hier am Jakobsweg. Aber will ich Gott wirklich schon begegnen?
Bin ich schon soweit?
Die kleine Brotzeit wird Gott sei Dank nicht zum letzten Abendmahl, sondern gestaltet sich dann recht schnell als äußerst heitere Pause. Mittendrin im nirgendwo.
Und so ist es ganz gut, dass ich die Stunde der Wahrheit erst einmal in weite Ferne verschieben kann. Lieber setze ich mich hier zur Ablenkung intensiv mit meiner Umgebung auseinander.
„Ich muss nämlich mal schnell“. Das ist heute echt ein kleines Problem. Meine Hände sind tatsächlich so eisig und blau angelaufen, dass ich „ihn“ nicht mehr richtig anfassen kann. „Er“ wiederum hat sich soweit zurückgezogen, dass es nicht einfacher wird. Kurzum, es endet wie es enden musste: Auf meinen Oberschenkeln. Wie zu vernehmen war, ist es Ingrid wohl nicht viel besser gegangen.
Irgendwo hier durchschreiten wir gerade die Provinzgrenze zwischen Gipuzkoa und der Biskaya. Das einzige, was jetzt im Reiseführer noch beschrieben ist, ist ein gewisser Bauernhof Arnoate.
Und er, wenn er es denn ist, ist wirklich schön. Ein uraltes Steingemäuer und viele Blumen, die schon nach wenigen Schritten wieder hinter der Regenwand verschwinden. Aber ein Eindruck, der bleibt.
Ich bin schon gespannt, auf das, was mich heute Abend erwarten wird:
Meine erste Nacht im Kloster
„Convento de los Padres Carmelitas“. Das hört sich vielversprechend an!
Nass und überglücklich stehen wir schließlich vor dem majestätischen Klostergebäude. Wir klopfen an die wuchtige Holztür. Ein Klosterdiener, der Doméstico, öffnet uns betulich die schwere Pforte. Er scheint das Wort Stress nicht zu kennen. Als erstes sieht er uns beiden in die Augen. Ungewöhnlich lange, wie ich finde. Und er verzieht dabei keine Miene.
Erst Sekunden später lächelt er und bittet uns höflich herein. Wie von selbst trete ich langsamen Schrittes ein. Durch das Portal hindurch erreichen wir unter seiner gastfreundschaftlichen Führung den Klostergang mit Blick auf den anmutigen Innengarten. Freilich müssen wir uns zuvor unsere Schuhe ausziehen. Es steht sogar Zeitungspapier zum Ausstopfen bereit, was ich aber für meine Sandalen witzigerweise nicht brauchte. Auch der Doméstico muss grinsen, als er meine Schuhe sieht. Er sagt lächelnd „Opus Dei“, das Werk Gottes!
Nun, so sehen meine Schuhe zwar nicht aus, aber ich lasse es mal so stehen.
Geruhsam folgen wir dem Doméstico in das Schlafgemach für Pilger. Groß, geräumig und sauber. Es gibt auch richtig tolle Duschräume für Pilger. Alles neu hergerichtet und einwandfrei. Ich bin gerade der einzige männliche Pilger im Duschraum. Warmes Wasser. Herrlich!
Unter der Dusche höre ich eine Pilgerin singen, die sich sicher gerade allein glaubt. Die Räume sind nicht vollkommen abgetrennt.
Auch sie hat es bis hierher geschafft und ist fröhlich, wie ich höre!
Nachdem ich kein Handtuch am Jakobsweg habe, warte ich wieder geduldig darauf, dass ich trocken werde. Die singende Pilgerin ist echt große Klasse und viel besser als das, was man oft so von DSDS her kennt. Wer sie gewesen ist, habe ich jedoch nicht heraus gefunden.
Im Klostergang hat der Doméstico zwei Wäscheständer aufgestellt, an denen ich meine nassen Klamotten aufhänge. Wäscheklammern habe ich zu Hause vergessen.
Im Schlafsaal kann ich mir mein Bett noch aussuchen. Es ist Platz für etwa dreißig Pilger. So viele werden es heute ganz sicher nicht.
Danach lädt uns der Doméstico zu einer Tasse heißen Tee ein. Ein paar Pilger kommen noch an. Aber viele sind es nicht.
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Mein erstes Pilgermenü
Ingrid und ich brechen um Sechs noch einmal auf. Der Doméstico hat uns ein kleines Speiselokal empfohlen, welches ein hervorragendes Pilgermenü haben soll. Was es mit dem Pilgermenü auf sich hat, habe ich bisher noch nicht selbst erfahren. Ich weiß lediglich, dass man hier und da als Pilger sehr preiswert essen kann.
Es geht aber um etwas ganz anderes. Um Gastgeber, die mich so annehmen, wie ich bin. Und ich bin wahrlich nicht gut gekleidet. Trotz Dusche sind die Klamotten muffig und zerknittert. Nie im Leben würde ich so zu Hause irgendwo hingehen, sonst würden sie mir noch einen alten Hähnchenknochen nachwerfen.
Aber hier habe ich nichts bei mir, womit ich den Gastleuten wenigstens ein Mindestmaß an Respekt zollen kann. Außer mich selbst und ein bedachtsames Verhalten. Ein sehr ungewohntes und ungutes Gefühl.
Weil es kalt ist, habe ich zwei kurze Hosen an. Darüber noch die feuchte Regenhose, die ich schon unter Tags anhatte. Obenherum zwei T-Shirt übereinander und dem Anschein wegen ein kurzärmeliges hellblau gestreiftes Baumwollhemd. Darüber: Poncho.
So mache ich mich mit Ingrid also auf zum Restaurant.
Beim Öffnen der Türe fühle ich mich sehr unwohl. Das Restaurant ist edel, urgemütlich und ich weiß nicht, ob das als Pilger wirklich so geht. Einfach hinsetzen so wie in Deutschland geht auch nicht. Verschämt stehe ich in der Tür, Ingrid hinter mir. Noch mehr schäme ich mich, als durch die offene Tür ein Windstoß fährt und gleich einen mit weißen Tischdecken vorbereiteten Tisch abdeckt. Wie sagen? Wohin mit dem nassen Zeug? Nur mein Hunger hält mich davon ab, jetzt das Weite zu suchen. Ingrid ist da schon unbefangener. Als die Kellnerin, nein – es ist ganz sicher die Besitzerin kommt, fällt mir Gott sei Dank „ona arratsaldean“
ein. Erinnert mich an „wa alaikum salām“ und bedeutet auf Baskisch „Guten Abend“.
Ob ich es richtig ausgesprochen habe, weiß ich nicht, aber sie lächelt mich sehr freundlich an.
Jedenfalls hat sie nicht das geringste Problem mit unserem Pilgeroutfit. Ausgesprochen herzlich begleitet sie uns zu einem der wirklich schönen Tische des Restaurants.
Es ist ein Restaurant der Gattung, in dem man sonst die Kreditkarte im Lederumschlag zur noblen Begleichung der Rechnung abgibt. Und trotzdem nimmt sie uns so wie wir sind.
Das geht mir unter die Haut.
Vornehm zieht sie mir den Stuhl ein wenig zur Seite. Ich hätte das bei Ingrid auch gerne getan, doch sie nimmt die lederne Bank an der Wandseite.
Gedeckt sind drei Hauptbestecke. Zur Wahl stehen Rotwein- oder Weißweingläser, ein Fisch- und ein Fleischmesser und für die Nachspeise ein Silberlöffel oder eine Silbergabel.
Vornehm fragt mich die Chefin, welchen Wein wir gerne hätten und zündet die weinrote Kerze am Tisch an. Jeder von uns könne aber auch eine eigene Flasche haben. Ingrid entscheidet sich für Rotwein. Der wird aber nicht einfach nur gebracht, er wird vor unseren Augen geköpft und ich darf am Korken riechen. Es ist ein richtig guter Tropfen Rioja!
Die Weißweingläser werden dezent abgetragen.
Kurz danach kommt sie, und bringt uns ein Amuse-Gueule, einen Gruß aus der Küche. Selbst gebackenes Brot mit Schmalz und Paprika.
Die Zeit vergeht gemächlich. Ich genieße jede Sekunde.
Während sechs weitere Pilger eintreten, wird uns die Vorspeise serviert: Hausgemachte Fischsuppe vom Allerfeinsten. Dazu frisches Weißbrot. Lächelnd steht die Chefin nun bei mir und meint: Der Weißwein wäre auch nicht schlecht gewesen. In der Hand hält sie ein kleines Gläschen zum Probieren, dass sie mir einfach vor die Nase stellt.
Nach dem ersten Gang gibt es wahlweise Fisch oder Fleisch. Die Chefin erzählt lebhaft, um was es sich jeweils handelt, aber leider verstehe ich nicht mehr als „Fisch oder Fleisch“.
Beide entscheiden wir uns für den Fisch. Aber das Fleisch am Nachbartisch sieht sehr lecker aus. Die Beilagen gibt es in mehreren Schüsseln, die über alle Tische verteilt werden.
Bei der Nachspeise dürfen wir schon wieder wählen. Mir gefällt „Vanilla esnea“ – auf Spanisch „pudín de vainilla“ und das versteht wirklich jeder!
Und dann kommt die Rechnung für Ingrid und für mich: Zusammen 12 Euro! Nachdem für die Chefin völlig klar ist, dass ich bezahle, mache ich das auch. Gerne!
Der Wein beschert mir abermals eine sehr entspannte Nachtruhe. Ich denke aber noch lange nach. Mit meiner Stirnlampe leuchte ich gerade auf den Reisführer, der vor mir auf dem Kopfkissen liegt. Und ich höre einen Pilger leise das Vaterunser auf Spanisch murmeln, während ein paar andere Pilger schon vor sich hin schnarchen:
Padre Nuestro que estás en los cielos
santificado sea tu nombre
venga a nosotros tu reino
hágase tu voluntad
así en la tierra como en el cielo
el pan nuestro de cada día dánosle hoy
y perdónanos nuestras ofensas
así como nosotros perdonamos a quienes nos ofenden
no nos dejes caer en tentación
y líbranos del mal
por que tuyo es el reino
el poder y la gloria
por los siglos de los siglos
amén.
In das Amen stimme ich im Stillen mit ein, mache meine Stirnlampe aus und finde für diese Nacht in den Gemäuern des Klosters meinen Frieden.
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