Etappe 5 MARKINA-XEMEIN - GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

MARKINA-XEMEIN – GERNIKA

Markina-Xemein – Gernika

Tag 5: 25 km, ca. 900 Höhenmeter, über Bolibar, Cenaruzza, Aldaka.

Etappe 5 MARKINA-XEMEIN - GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

Gewitterwolken am Küstenweg Etappe 5 MARKINA-XEMEIN – GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

Über den Regen möchte ich nicht mehr viel sprechen. Er ist zu meinem ständigen Begleiter geworden und macht mir nichts mehr aus. Mittlerweile steigt das Thermometer auf angenehme 12 Grad.

Landschaftlich hat sich der Camino bereits gestern noch vom Meer abgewandt. Und heute führt er weiter durch das bergige Landesinnere.

Am Ortsausgang treffen wir einen Gemeindearbeiter, der gerade dabei ist, Mülltonnen aus zu leeren. Er schenkt mir einen riesigen grauen Müllsack. Wer weiß, für was ich den noch brauchen kann?

Am frühen Morgen begleitet uns ein kleiner Bach, der in den letzten Tagen extrem angeschwollen ist. Da wo sonst sicher ein schöner Pfad ist, wate ich durch Morast. Überall sind die Schäden der Überschwemmung zu sehen.

Nach eineinhalb Stunden habe ich mich warm gelaufen. Es geht durch einen wunderschönen kleinen Wald hinauf zum Kloster Cenaruzza.

Cenarruzza, ein christliches Bollwerk

Das Kloster ist ein christliches Bollwerk in der dieser damals noch nicht christianisierten Region. Deshalb erinnert es eher an eine uneinnehmbare mittelalterliche Festung. Nach dem ich schon eine Weile allein wandere, finde ich hier einen ganz besonderen Ort der Stille. Niemand außer mir ist hier. Lediglich ein Mönch huscht im hinteren Kirchenschiff vorbei. Die Ruhe in der Klosterkapelle tut gut.

Heute habe ich keine Lust dazu, mir die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe des Klosters durchzulesen. Ich möchte einfach die Eindrücke auf mich wirken lassen.

Wie in den vergangen Tagen sitze ich fast ganz hinten. Immerhin: Ein paar Sitzreihen habe ich mich schon vorgewagt und so sitze ich jetzt vielleicht etwas näher bei Gott?

Weil ich nass bin, beginne ich zu frieren. Nun kommt auch Ingrid an. Sie nimmt vornehm am anderen Ende Platz. Sie will mich sicher bei meiner kleinen Andacht nicht stören. Man muss gar nicht super religiös sein, um hier in den Gemäuern so etwas wie innere Ruhe, Gelassenheit und Dankbarkeit zu empfinden.

Ich beginne, ein wenig zu zittern. Es ist eisig und unwirtlich hier. Ich überlege mir, welche Wünsche ich hätte, wenn ich mit Gott sprechen könnte. Und es fällt mir keiner ein. Also kann Gott noch damit warten, sich mir zu offenbaren. Was also treibt mich an? Was ist es, was ich finden möchte, wenn ich keinen einzigen Wunsch habe? Ich spüre, dass ich hier bin und ich spüre, dass jeder Gedanke an die Vergangenheit irgendwie schmerzt. Dem Hier und Jetzt ordne ich die Kälte zu. Aber auch meine Kinder und meine Frau fallen mir zum Hier und Jetzt ein. Zur Zukunft fällt mir ad hoc gar nichts ein, außer der schweren Holzpforte, durch die ich die Kirche wieder verlassen werde.

Doch zuvor nehme ich etwas von dem Weihwasser aus dem Weihbecken und wische es mir mit einem Kreuzzeichen auf die Stirn. Dieses Becken – hier ich bin immer achtlos daran vorbei gegangen.

Etappe 5 MARKINA-XEMEIN - GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

Im Regencape am Jakobsweg an der Küste Etappe 5 MARKINA-XEMEIN – GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

Frei von Dämonen

In der katholischen Kirche ist das Weihwasser die Erinnerung an die Taufe. Man sagt, dass es aber auch schon viel früher diesen Ritus gegeben haben soll, um sich zu Reinigen und von Dämonen zu befreien [7].

Ich sattle meinen Rucksack erst außerhalb der Kapelle. Ingrid überlegt, ob sie den Tag und die Nacht hier im Kloster bleiben möchte. Ich jedenfalls will weiter gehen. Es ist noch viel zu früh, viel zu kalt und ich habe ja auch erst wenige Kilometer hinter mir.

Also gehe ich. Ingrid kommt mit.

Die Etappe nach Gernika hat heute einige Höhenmeter für uns parat. Dafür sind die Temperaturen angenehm und die Pfade im grünen Dickicht. Keinen einzigen Pilger sehe ich hier. Es ist ein stiller Weg. Ein Weg der inneren Einkehr.

Immer mehr verbindet mich mit Ingrid eine tiefe Freundschaft.

Man muss den Jakobsweg wohl allein gehen, um nicht allein zu sein!

Was hier vordergründig widersprüchlich erscheint, ist meine nächste Lektion. Manch einer mag Angst vor dem Alleinsein haben. Doch wer allein ist, der findet hier schnell Anschluss, wenn er denn will. Und das ist das Schöne daran: Man kann es sich immer aussuchen! Wenn es zu viel wird, wünscht man sich eben einen „bon Camino“. Oder man wird langsamer. Oder man schüttelt den Begleiter einfach ab.

Der Camino ist der eigene Weg. Ohne anstrengende Rücksichtnahme, ohne Show und ohne ein krampfhaftes Festhalten. Was sich sucht, das findet sich.

Der Jakobsweg beginnt zu fließen. Immer weiter, immer intensiver. Mit fallen neue Wörter für meinen Weg ein, wie „dahintreiben, plätschern, wohlbehalten, befreit und annehmen“.

Viele gelbe Pfeile lassen wir hinter uns. An einer kleinen Santiago-Kapelle halten wir kurz inne, doch dann möchte ich weiter.

Unter dem Vordach eines Holzschuppens machen Ingrid und ich eine kleine Brotzeit. Klein? Aber Hallo! Zwei Tage altes Weißbrot (esse ich lieber als frisches). Dazu eine erstklassige Salami aus dem Baskenland. Feurig scharf! Zorrotzak! Kekse von Ingrid. Der Wallnussbaum neben dem Schuppen, unter dessen Vordach wir uns ausgebreitet haben, versorgt uns mit ganz jungen Wallnussblättern. Zwei davon lege ich zwischen Brot und Salami. Frische Wallnussblätter passen prima zum Aroma der Hartwurst und geben eine herb würzige Mischung. Ein echtes Erlebnis für den Gaumen.

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Pilgeressen im Regen, Etappe 5 MARKINA-XEMEIN – GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

Die Kommunion ist unsere Brotzeit

In unsere Wasserflaschen gebe ich ein paar Blütenteile Scharfgarbe, Holunderblüte, frische Minzblätter, blaue Gundelrebe und Süßdolde, die ein wenig an Anis erinnert. Gut durchgeschüttelt. Fertig. Einfach fantastisch, was die Natur direkt vor den eigenen Füßen zu bieten hat. Man muss einfach nur hinsehen, um ständig etwas Neues zu entdecken! Natürlich erinnert mich Ingrid sofort wieder an den giftigen, gefleckten Schierling. Die Süßdolde sieht ihm zum Verwechseln ähnlich. Angst habe ich dieses Mal nicht, denn der Schierling stinkt und duftet nicht nach Anis. Und ein wenig kenne ich mich schon aus.

Nächstenliebe über den Zaun hinweg

Am Rande eines kleinen Sträßchens hat sich eine wohlhabend zu scheinende Familie ein schönes Landhaus gebaut. Was mich bewegt: Sie haben extra einen Wasseranschluss zum Zaun verlegt, um den wenigen Pilgern hier aus dem Hahn etwas Wasser anzubieten.

Obwohl niemand zu sehen ist, rufe ich ganz laut „Gracias!“ in den Wind und verbeuge mich samt Gepäck vor dem Anwesen.

So oberflächlich ist die Welt also doch nicht. Es gibt Menschen, die hier ganz im Stillen den Pilgern Achtsamkeit schenken. Großartig!

Irgendwann führt uns der Weg schließlich auf eine Straßenkreuzung, die nach allen Seiten hin abfällt. Wo geht es weiter?

Ingrid streckt ihren Arm und steckt zum Spaß den Zeigefinger in den Wind. „Hier lang“ meint sie und schon ist sie wieder auf und davon.

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Jakobsweg überschwemmt, Pilgerin im Regen, Etappe 5 MARKINA-XEMEIN – GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

Singend und Tanzend dahinfliegen

 

Die Kilometer gehen heute viel einfacher und das Laufen an sich macht Spaß. Auch der Rucksack scheint nicht mehr ganz so schwer zu sein. Und meine Füße fühlen sich ebenfalls ganz wohl auf der abfallenden Strecke nach Gernika. Ich bin müde, aber nicht mehr erschöpft. Und ich habe auch noch Reserven, um ein paar fröhliche Sprünge zu machen. Verstecken muss ich mich ja vor niemanden. Und so kommt dann auch mal ein wenig „Kind sein“ durch. Ich versuche verschiedene Laufschritte aus, eins zwei drei hopp! Zum gedachten Takt drehe ich meine Schultern hin und her und schwinge meine Arme kräftig durch.

Mal auf Zehenspitzen, mal auf den Fußballen bewege ich mich total unbeschwert voran. Weil Ingrid kurz stehen bleibt, wippe ich mit geschlossenen Beinen im Stand links und rechts hin und her. Ingrid lacht.

Schließlich kommen wir müde aber zufrieden in Gernika an. Am Mauerwerk der Herberge kann man noch den Wasserpegel des Vortages ablesen. Etwa ein Meter achtzig. Die Unterkunft muss komplett abgesoffen sein. Die Schlafräume liegen im ersten Stock. Von hier aus hat die Feuerwehr alle Pilger durch das Fenster evakuiert. Im Innenhof steht nun von der Waschmaschine bis zu den Tischen alles so herum, als wäre gerade eine Sperrmüllsammlung.

Die Hospitaliera, eine überfreundliche Seele mit braunen schulterlangen Haaren, etwa Dreißig, ist dennoch gelassen und wird mit der Situation bestimmt gut fertig. Schon morgen, so meint sie, können hier bereits wieder Pilger übernachten. In Anbetracht der Lage beneide ich sie um ihren Optimismus.

Wir brauchen für heute eine andere Bleibe. Also machen wir uns auf in das Zentrum von Gernika, der heiligen Stadt der Basken. Nicht ohne ungutes Gefühl.

Wir wissen beide, dass Gernika durch die deutsche „Legion Condor“ rein zu „Übungszwecken“ grausam durch einen Bombenhagel zerstört wurde. Picasso wurde 1936 von der spanischen Regierung damit beauftragt, für den spanischen Pavillon der Weltausstellung 1937 in Paris ein Protest-Bild zu malen. Das fast acht Meter lange Ölgemälde „Guernica“ traf aber nicht den Geschmack der spanischen Auftraggeber und so ließen die es am Ende der Ausstellung einfach im Pavillon hängen. Picasso nahm das verschmähte Werk dann enttäuscht und sich unverstanden fühlend wieder mit. Im Abitur hatte ich einmal eine Arbeit über dieses Werk geschrieben. Schlagartig ist sie da, meine Vergangenheit.

Etappe 5 MARKINA-XEMEIN - GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

Regen am Jakobsweg, Etappe 5 MARKINA-XEMEIN – GERNIKA Jakobsweg an der Küste Camino de la Costa

Mein Kindheitstraum

Ich wollte immer malen in meiner Kindheit. Zeichnen und Malen war mein ein und alles. Doch aus Langeweile und zum Unmut meiner Lehrer habe ich dann permanent Karikaturen von meinen Lehrern angefertigt. Das ging soweit, dass sogar eine Schülerzeitung zensiert wurde und meine Eltern antreten mussten. Jedenfalls sprach mir mein Kunstlehrer jegliches Talent ab und auch meine Interpretation zum unverstandenen Picasso war daraufhin ein Fiasko. Kunst studieren: Das ging gar nicht. Das „Kind“ – immerhin war ich da schon ein Halbwüchsiger, wollte aber Künstler werden.

Und dann kamen sie, die geballten Argumente gegen ein Kunststudium. Weniger von meinen Eltern, als vielmehr von der Schule. Kunst, damit könne man niemals eine Familie ernähren. Worte wie „brotlose Kunst“ vielen damals und man erinnerte mich an Physik, Mathematik und Informatik, in denen ich nur gute Noten ablieferte.

Schließlich machte ich ein Studium in Elektrotechnik. Das hat auch schon mein Vater so gemacht. Siemens = Sicherheit usw., das waren die Totschlagsargumente. Fortan tat ich etwas, was mich nie interessierte. Aus Pflichterfüllung oder was auch immer habe ich das Studium dann durchgezogen, jedoch ohne jemals wirklich Zugang zur Materie oder zu meinen Professoren gefunden zu haben.

Mein Praktikum im Kernforschungsreaktor Garching bei der Deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit machte mir schließlich das volle Ausmaß der Sinnlosigkeit klar.

Jakobsweg in Zumaia Ölgemälde

Jakobsweg in Zumaia Ölgemälde, Oil Painting Christian Seebauer

Den Jakobsweg an der Küste auf Leinwand eingefangen

Den Jakobsweg an der Küste auf Leinwand eingefangen

Meine Ölgemälde siehst Du unter https://www.seebauers-world.com/

 

Kettenreaktion

In ausgefeilten Computer-Simulationen sollten mein Studienkollege Tom und ich eine Kernschmelze verhindern. Das allerdings gelang uns so gut wie nie. Nur durch das entnervte Eingreifen des Betreuers hat es dann mal geklappt, eine Simulation ohne Alarmpiepen und ohne dem obligatorischen Supergau zu beenden.

Eine wahnwitzige Vorstellung war das für mich, eine Kettenreaktion durch nicht verstandene Regelkreisläufe beherrschen zu wollen. So instabil, als wollte man eine Metallkugel auf einem Zahnstocher dauerhaft balancieren. Wenn sie herunter fällt, dann haben wir den GAU – der größte anzunehmende Unfall. Insofern kann es einen Supergau eigentlich nicht geben, da nicht steigerungsfähig.

Etwas zu studieren, was einen nicht bewegt – zumindest nicht so, wie angenommen: Das ist aus heutiger Sicht Zeitverschwendung. Nun gut. Wenigstens kann ich die Mathematik aus meinem Studium noch heute gebrauchen. Aber meistens tut es da auch eine simple Excel-Tabelle. Und wenn ich in der Arbeit von abklingenden e-Funktionen spreche, dann versteht es sowieso keiner. Ein Vorstand, mit dem ich es später zu tun hatte, meinte sogar, ich sei mit meinem Wissen gefährlich für seine Gesellschaft und die Moral ihrer Verkäufer! Doch noch immer möchte ich Künstler werden, mit meinen 44 Jahren. Natürlich reden auch heute noch alle dagegen. Heute geht es erst Recht nicht mehr. Oder würde es doch noch gehen?

Meine Frau hat mir zum 35.sten Geburtstag einen Malkasten mit Ölfarben geschenkt. Zuvor habe ich sie fast 15 Jahre lang damit genervt: „Ich würde so gerne malen.“.

Wie dumm muss ein Mensch sein, sich etwas 15 Jahre lang zu wünschen und es nicht zu tun?

Über das Geschenk aber, mit dem mir meine Frau viel zu Nahe getreten ist, habe ich mich dann geärgert, anstatt dass ich mich freute. Ich habe es verbannt und meine Frau damit fürchterlich verletzt. Erst ein Jahr später habe ich den Malkasten im Radkasten versteckt, als wir an den Gardasee gefahren sind. In einer ruhigen Minute, in der ich mich allein glaubte, habe ich dann angefangen, einen Strich neben den anderen zusetzen und war mitten drin. Es hat mich nicht einmal gestört, dass plötzlich meine Familie und eine befreundete Familie auf der Terrasse standen und wie gebannt beim Malen zusahen. Es war wie ein Fluss, in dem ich meditierte und in dem alles wie aus Geisterhand gelang.

Von Gernika zur Kunst und wieder zurück. Hier bin ich: In Gernika.

Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern?

Tun wir das? Haben wir überhaupt eine leise Ahnung davon, was in Gernika passiert ist? Über Gernika habe ich mir damals jedenfalls keine Gedanken gemacht. Jetzt wird es also ernst?

Doch mit wem ich auch spreche: Ich stoße nur auf Freundlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaftlichkeit – nie auf die Vergangenheit. Und nie auf Verbitterung gegenüber Deutschen. Vergessen, vorbei. So gehen die Basken damit um.

In Deutschland ist es ja so, dass man sich scheinbar per se ab Geburt dafür schämen muss, was einmal war. Und nachdem ich kurz hinter Dachau zu Hause bin, fahre ich allzu oft am ehemaligen Konzentrationslager.

In der Schule darüber etwas lernen. Gut. Aber irgendwann muss auch wieder einmal die Gegenwart eine entscheidende Rolle spielen. Respekt und Geschichte natürlich in Ehren! Also wie werden mich die Menschen in Gernika empfangen? Sehen sie in mir den Nazi aus Dachau? Sehen sie den bösen Deutschen? muss ich mich in große Ehrfurcht begeben? Im Moment ist mir nicht danach. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir, freue mich auf mein Tagesziel Gernika, die Leute, ein Essen und ein Bett.

Auf geschichtliche Feinheiten jedenfalls habe ich mich nicht vorbereitet und auch Ingrid meint, das ist denen „Wurst“. Das hinterlässt ein großes Fragezeichen und eine gehörige Portion Unsicherheit.

Nachdem wir auf Anhieb keine Pension finden, kommt gleich die Generalprobe. Nachfragen bei der Polizei, die auch bei der Suche nach einer Bleibe behilflich ist.

Jesus Ölgemälde Als Pilger wusste ich, dass Gernika, welches am Jakobsweg liegt, durch die deutsche „Legion Condor“ zu „Übungszwecken“ grausam zerstört wurde. Fliegerbomben, Feuer, Schutt und Asche. So macht man sich als Pilger und als Künstler natürlich seine Gedanken. Doch mit wem ich auch spreche: Ich stoße nur auf Freundlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaftlichkeit – nie auf die Vergangenheit. Und nie auf Verbitterung gegenüber Deutschen. Gemälde: 1580 Datum: 2011 Maße: 100 x 70 cm Christian Seebauer - Germany

Jesus Ölgemälde
Als Pilger wusste ich, dass Gernika, welches am Jakobsweg liegt, durch die deutsche „Legion Condor“ zu „Übungszwecken“ grausam zerstört wurde. Fliegerbomben, Feuer, Schutt und Asche. So macht man sich als Pilger und als Künstler natürlich seine Gedanken. Doch mit wem ich auch spreche: Ich stoße nur auf Freundlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaftlichkeit – nie auf die Vergangenheit. Und nie auf Verbitterung gegenüber Deutschen.
Gemälde: 1580
Datum: 2011
Maße: 100 x 70 cm
Christian Seebauer – Germany

„Ah Alemán, Pelegrino – bienvenidos!“

Das war schon mal sehr höflich und völlig unbefangen. „En busca de una pensión, no hay problema“, also kein Problem.

Obwohl ich mir auf der Polizeiwache so verschwitzt und durchnässt wie ein Penner vorkomme, werden Ingrid und ich äußerst zuvorkommend behandelt. Keine alten Kriegsgeschichten. Kein Garnichts.

Der junge Oberwachtmeister Juan von der Guardia Municipal begleitet uns sogar noch ein Stück in Richtung der empfohlenen Pension. Er spricht über das Sauwetter und möchte meinen Rucksack mal hochheben, um zu wissen wie schwer der ist. Diesen Wunsch schlage ich im logischerweise nicht aus. Er murmelt etwas, was so ähnlich klingt wie „geht schon“, sieht auf den viel größeren Rucksack von Ingrid und meint dann entsetzt „Madre de Dios“, die muss wirklich Buße tun und lacht.

In der netten kleinen Pension Boliña finden wir dann günstig ein sehr sauberes Zimmer vor. Alles ist so, wie es auch im vergangenen Jahrhundert hätte sein können. Nur die modernen Flachbildschirme verraten etwas über unsere moderne Zeit.

Auf einer engen knarzigen Holztreppe geht es rauf zu unserem gemeinsamen Zimmer 201.

Der Raum ist klein, aber dafür sehr hoch. Ein uralter dunkelbrauner Sekretär steht hier, auf dem ich dann bestimmt noch mein Tagebuch schreiben werde.

Neben dem Bett steht ein elektrischer Heizkörper, der sicher auch schon vieles erlebt hat. Ein Wunder, der Heizkörper springt sofort klaglos an. So kann ich das erste Mal meine Sachen im Waschbecken auswaschen und trocknen. Mit einem wilden Zickzack von Leinen habe ich das Schlafzimmer zum Trockenraum umfunktioniert. Gut, dass es der Wirt nicht gesehen hat. Und noch einmal bekomme ich von Ingrid eine Lektion mit auf meinen Weg:

 

Du brauchst viel weniger, als du denkst.

Weil ich gerade beim Auspacken bin, möchte Ingrid mir zeigen, was ich definitiv alles nicht mehr benötigen werde. Abschied! Sie stellt mir den Mülleimer direkt vor die Füße und dann geht es los. Zweite lange Hose? Weg damit. Zwei zusätzliche T-Shirts: Weg damit. Die zweite kurze Hose: Ebenfalls weg damit. Dann kommt meine Apotheke dran. Eine volle Tube Heilsalbe – wofür? Ingrid drückt alle Tuben, die ich dabei habe, im Waschbecken bis zum letzten Rest aus und spült die Pasten herunter. Für einmal genügt es jetzt, meint sie. Mein Rucksack wird leer. Ingrid hat jedes noch so kleine Detail hinterfragt.

 

Gerade werde ich zum Minimalpilger.

Nur eines habe ich Ingrid wirklich voraus: Es ist mein Bettbezug.

Zu Hause habe ich keinen Schlafsack gehabt. Ohnehin leide ich ein wenig unter Platzangst. Und so bin ich auf die Idee mit dem Bettbezug gekommen. Leichter geht es natürlich nicht. Das Einpacken ist immer schnell erledigt. Waschen kann man ihn zur Not ebenfalls. Und er reicht vollkommen. Mir zumindest. Denn hierin kann ich mich bewegen und gut schlafen.

In fast allen Unterkünften gibt es zudem Decken. Und wenn es wirklich kalt wird, muss ich eben in dicken Klamotten schlafen. Oder meinen Bettbezug mit weiteren Sachen ausstopfen. Mein „Schlafsack“ ist also leicht, geräumig und bietet nur Vorteile.

26 Euro habe ich heute unfreiwillig für die Ersatzunterkunft ausgegeben. Die große Überraschung: Selbst das Abendessen ist nebst allen Getränken und dem exquisiten Service inklusive. Es gibt ein Viergängemenü. Und eine stilsichere Bedienung, die in deutschen Wirtschaften Ihresgleichen sucht.

Zuerst gibt es eine große gemischte Vorspeise mit luftgetrocknetem Serranoschinken. Dazu allerlei selbst eingelegtes Gemüse, welches uns die Gastwirtin dann selbst erklärt. Im Anschluss daran wird uns mit weißer Serviette am Arm Pasta serviert. Reichlich. Kaum ist der Tafelwein leer, kommt schon der Kellner mit einer neuen Flasche der edleren Sorte. Direkt vor unseren Augen geköpft und kandiert.

Der Hauptgang ist wahlweise Lup de Mar oder ein saftiges Rumpsteak. Ich entscheide mich für den Fisch. Der Koch, der ebenfalls zu den Tischen geht, sagt uns, dass man hier zum Fisch keinen Weißwein, sondern am besten einen gekühlten Rotwein des Hauses trinken solle. Natürlich sei auch die zweite Flasche inklusive.

Und dann gibt es noch meine Lieblingsnachspeise:

Arroz con leche.

Ein selbstgemachter Reispudding.

Ingrid, die ihr Tischgebet vergessen hat, holt es jetzt bei der Nachspeise nach und ich weiß nicht, ob ich lachen oder schweigen soll. Ich schweige mal lieber.

Die Nachspeise ist also gesegnet und nun kann ich loslegen. Meine etwas verlegene Frage an die Wirtin, ob ich noch ein wenig Nachschub haben könnte empfindet die Wirtin glücklicherweise als großes Kompliment. Sie erzählt mir, wie sie die Nachspeise gemacht hat, natürlich alles selbst und sie freut sich über meinen Appetit, denn es ist bestimmt noch etwas übrig davon.

Auch die Wirtin fragt, ob wir aus Deutschland seien und heißt uns ganz herzlich in „ihrer Familie“ willkommen. So viel jedenfalls habe ich verstanden.

Dann aber geht wirklich nichts mehr in mich hinein und wir beschließen diesen wunderbaren Abend mit dem Ausblasen der Kerze am Tisch.

Der Kellner läuft uns sogar noch nach, als wir gehen. Er möchte uns die angefangene Weinflasche mit auf das Zimmer geben. Aber genug ist genug. Schließlich möchte ich morgen noch wandern können. Er grinst, behält die Flasche und wünscht uns eine gute Nacht.

 


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Es geht durch einen wunderschönen kleinen Wald hinauf zum Kloster Cenaruzza. Cenarruzza, ein christliches Bollwerk Das Kloster ist ein christliches Bollwerk in der dieser damals noch nicht christianisierten Region. Deshalb erinnert es eher an eine uneinnehmbare mittelalterliche Festung. Nach dem ich schon eine Weile allein wandere, finde ich hier einen ganz besonderen Ort der Stille. Niemand außer mir ist hier. Lediglich ein Mönch huscht im hinteren Kirchenschiff vorbei. Die Ruhe in der Klosterkapelle tut gut. Heute habe ich keine Lust dazu, mir die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe des Klosters durchzulesen. Ich möchte einfach die Eindrücke auf mich wirken lassen. Wie in den vergangen Tagen sitze ich fast ganz hinten. Immerhin: Ein paar Sitzreihen habe ich mich schon vorgewagt und so sitze ich jetzt vielleicht etwas näher bei Gott? Weil ich nass bin, beginne ich zu frieren. Nun kommt auch Ingrid an. Sie nimmt vornehm am anderen Ende Platz. Sie will mich sicher bei meiner kleinen Andacht nicht stören. Man muss gar nicht super religiös sein, um hier in den Gemäuern so etwas wie innere Ruhe, Gelassenheit und Dankbarkeit zu empfinden. Ich beginne, ein wenig zu zittern. Es ist eisig und unwirtlich hier. Ich überlege mir, welche Wünsche ich hätte, wenn ich mit Gott sprechen könnte. Und es fällt mir keiner ein. Also kann Gott noch damit warten, sich mir zu offenbaren. Was also treibt mich an? Was ist es, was ich finden möchte, wenn ich keinen einzigen Wunsch habe? Ich spüre, dass ich hier bin und ich spüre, dass jeder Gedanke an die Vergangenheit irgendwie schmerzt. Dem Hier und Jetzt ordne ich die Kälte zu. Aber auch meine Kinder und meine Frau fallen mir zum Hier und Jetzt ein. Zur Zukunft fällt mir ad hoc gar nichts ein, außer der schweren Holzpforte, durch die ich die Kirche wieder verlassen werde. Doch zuvor nehme ich etwas von dem Weihwasser aus dem Weihbecken und wische es mir mit einem Kreuzzeichen auf die Stirn. Dieses Becken – hier ich bin immer achtlos daran vorbei gegangen. Frei von Dämonen In der katholischen Kirche ist das Weihwasser die Erinnerung an die Taufe. Man sagt, dass es aber auch schon viel früher diesen Ritus gegeben haben soll, um sich zu Reinigen und von Dämonen zu befreien [7]. Ich sattle meinen Rucksack erst außerhalb der Kapelle. Ingrid überlegt, ob sie den Tag und die Nacht hier im Kloster bleiben möchte. Ich jedenfalls will weiter gehen. Es ist noch viel zu früh, viel zu kalt und ich habe ja auch erst wenige Kilometer hinter mir. Also gehe ich. Ingrid kommt mit. Die Etappe nach Gernika hat heute einige Höhenmeter für uns parat. Dafür sind die Temperaturen angenehm und die Pfade im grünen Dickicht. Keinen einzigen Pilger sehe ich hier. Es ist ein stiller Weg. Ein Weg der inneren Einkehr. Immer mehr verbindet mich mit Ingrid eine tiefe Freundschaft. Man muss den Jakobsweg wohl allein gehen, um nicht allein zu sein! Was hier vordergründig widersprüchlich erscheint, ist meine nächste Lektion. Manch einer mag Angst vor dem Alleinsein haben. Doch wer allein ist, der findet hier schnell Anschluss, wenn er denn will. Und das ist das Schöne daran: Man kann es sich immer aussuchen! Wenn es zu viel wird, wünscht man sich eben einen „bon Camino“. Oder man wird langsamer. Oder man schüttelt den Begleiter einfach ab. Der Camino ist der eigene Weg. Ohne anstrengende Rücksichtnahme, ohne Show und ohne ein krampfhaftes Festhalten. Was sich sucht, das findet sich. Der Jakobsweg beginnt zu fließen. Immer weiter, immer intensiver. Mit fallen neue Wörter für meinen Weg ein, wie „dahintreiben, plätschern, wohlbehalten, befreit und annehmen“. Viele gelbe Pfeile lassen wir hinter uns. An einer kleinen Santiago-Kapelle halten wir kurz inne, doch dann möchte ich weiter. Unter dem Vordach eines Holzschuppens machen Ingrid und ich eine kleine Brotzeit. Klein? Aber Hallo! Zwei Tage altes Weißbrot (esse ich lieber als frisches). Dazu eine erstklassige Salami aus dem Baskenland. Feurig scharf! Zorrotzak! Kekse von Ingrid. Der Wallnussbaum neben dem Schuppen, unter dessen Vordach wir uns ausgebreitet haben, versorgt uns mit ganz jungen Wallnussblättern. Zwei davon lege ich zwischen Brot und Salami. Frische Wallnussblätter passen prima zum Aroma der Hartwurst und geben eine herb würzige Mischung. Ein echtes Erlebnis für den Gaumen. Die Kommunion ist unsere Brotzeit In unsere Wasserflaschen gebe ich ein paar Blütenteile Scharfgarbe, Holunderblüte, frische Minzblätter, blaue Gundelrebe und Süßdolde, die ein wenig an Anis erinnert. Gut durchgeschüttelt. Fertig. Einfach fantastisch, was die Natur direkt vor den eigenen Füßen zu bieten hat. Man muss einfach nur hinsehen, um ständig etwas Neues zu entdecken! Natürlich erinnert mich Ingrid sofort wieder an den giftigen, gefleckten Schierling. Die Süßdolde sieht ihm zum Verwechseln ähnlich. Angst habe ich dieses Mal nicht, denn der Schierling stinkt und duftet nicht nach Anis. Und ein wenig kenne ich mich schon aus. Nächstenliebe über den Zaun hinweg Am Rande eines kleinen Sträßchens hat sich eine wohlhabend zu scheinende Familie ein schönes Landhaus gebaut. Was mich bewegt: Sie haben extra einen Wasseranschluss zum Zaun verlegt, um den wenigen Pilgern hier aus dem Hahn etwas Wasser anzubieten. Obwohl niemand zu sehen ist, rufe ich ganz laut „Gracias!“ in den Wind und verbeuge mich samt Gepäck vor dem Anwesen. So oberflächlich ist die Welt also doch nicht. Es gibt Menschen, die hier ganz im Stillen den Pilgern Achtsamkeit schenken. Großartig! Irgendwann führt uns der Weg schließlich auf eine Straßenkreuzung, die nach allen Seiten hin abfällt. Wo geht es weiter? Ingrid streckt ihren Arm und steckt zum Spaß den Zeigefinger in den Wind. „Hier lang“ meint sie und schon ist sie wieder auf und davon. Singend und Tanzend dahinfliegen Die Kilometer gehen heute viel einfacher und das Laufen an sich macht Spaß. Auch der Rucksack scheint nicht mehr ganz so schwer zu sein. Und meine Füße fühlen sich ebenfalls ganz wohl auf der abfallenden Strecke nach Gernika. Ich bin müde, aber nicht mehr erschöpft. Und ich habe auch noch Reserven, um ein paar fröhliche Sprünge zu machen. Verstecken muss ich mich ja vor niemanden. Und so kommt dann auch mal ein wenig „Kind sein“ durch. Ich versuche verschiedene Laufschritte aus, eins zwei drei hopp! Zum gedachten Takt drehe ich meine Schultern hin und her und schwinge meine Arme kräftig durch. Mal auf Zehenspitzen, mal auf den Fußballen bewege ich mich total unbeschwert voran. Weil Ingrid kurz stehen bleibt, wippe ich mit geschlossenen Beinen im Stand links und rechts hin und her. Ingrid lacht. Schließlich kommen wir müde aber zufrieden in Gernika an. Am Mauerwerk der Herberge kann man noch den Wasserpegel des Vortages ablesen. Etwa ein Meter achtzig. Die Unterkunft muss komplett abgesoffen sein. Die Schlafräume liegen im ersten Stock. Von hier aus hat die Feuerwehr alle Pilger durch das Fenster evakuiert. Im Innenhof steht nun von der Waschmaschine bis zu den Tischen alles so herum, als wäre gerade eine Sperrmüllsammlung. Die Hospitaliera, eine überfreundliche Seele mit braunen schulterlangen Haaren, etwa Dreißig, ist dennoch gelassen und wird mit der Situation bestimmt gut fertig. Schon morgen, so meint sie, können hier bereits wieder Pilger übernachten. In Anbetracht der Lage beneide ich sie um ihren Optimismus. Wir brauchen für heute eine andere Bleibe. Also machen wir uns auf in das Zentrum von Gernika, der heiligen Stadt der Basken. Nicht ohne ungutes Gefühl. Wir wissen beide, dass Gernika durch die deutsche „Legion Condor“ rein zu „Übungszwecken“ grausam durch einen Bombenhagel zerstört wurde. Picasso wurde 1936 von der spanischen Regierung damit beauftragt, für den spanischen Pavillon der Weltausstellung 1937 in Paris ein Protest-Bild zu malen. Das fast acht Meter lange Ölgemälde „Guernica“ traf aber nicht den Geschmack der spanischen Auftraggeber und so ließen die es am Ende der Ausstellung einfach im Pavillon hängen. Picasso nahm das verschmähte Werk dann enttäuscht und sich unverstanden fühlend wieder mit. Im Abitur hatte ich einmal eine Arbeit über dieses Werk geschrieben. Schlagartig ist sie da, meine Vergangenheit. Mein Kindheitstraum Ich wollte immer malen in meiner Kindheit. Zeichnen und Malen war mein ein und alles. Doch aus Langeweile und zum Unmut meiner Lehrer habe ich dann permanent Karikaturen von meinen Lehrern angefertigt. Das ging soweit, dass sogar eine Schülerzeitung zensiert wurde und meine Eltern antreten mussten. Jedenfalls sprach mir mein Kunstlehrer jegliches Talent ab und auch meine Interpretation zum unverstandenen Picasso war daraufhin ein Fiasko. Kunst studieren: Das ging gar nicht. Das „Kind“ – immerhin war ich da schon ein Halbwüchsiger, wollte aber Künstler werden. Und dann kamen sie, die geballten Argumente gegen ein Kunststudium. Weniger von meinen Eltern, als vielmehr von der Schule. Kunst, damit könne man niemals eine Familie ernähren. Worte wie „brotlose Kunst“ vielen damals und man erinnerte mich an Physik, Mathematik und Informatik, in denen ich nur gute Noten ablieferte. Schließlich machte ich ein Studium in Elektrotechnik. Das hat auch schon mein Vater so gemacht. Siemens = Sicherheit usw., das waren die Totschlagsargumente. Fortan tat ich etwas, was mich nie interessierte. Aus Pflichterfüllung oder was auch immer habe ich das Studium dann durchgezogen, jedoch ohne jemals wirklich Zugang zur Materie oder zu meinen Professoren gefunden zu haben. Mein Praktikum im Kernforschungsreaktor Garching bei der Deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit machte mir schließlich das volle Ausmaß der Sinnlosigkeit klar. Meine Ölgemälde siehst Du unter https://www.seebauers-world.com/ Kettenreaktion In ausgefeilten Computer-Simulationen sollten mein Studienkollege Tom und ich eine Kernschmelze verhindern. Das allerdings gelang uns so gut wie nie. Nur durch das entnervte Eingreifen des Betreuers hat es dann mal geklappt, eine Simulation ohne Alarmpiepen und ohne dem obligatorischen Supergau zu beenden. Eine wahnwitzige Vorstellung war das für mich, eine Kettenreaktion durch nicht verstandene Regelkreisläufe beherrschen zu wollen. So instabil, als wollte man eine Metallkugel auf einem Zahnstocher dauerhaft balancieren. Wenn sie herunter fällt, dann haben wir den GAU – der größte anzunehmende Unfall. Insofern kann es einen Supergau eigentlich nicht geben, da nicht steigerungsfähig. Etwas zu studieren, was einen nicht bewegt – zumindest nicht so, wie angenommen: Das ist aus heutiger Sicht Zeitverschwendung. Nun gut. Wenigstens kann ich die Mathematik aus meinem Studium noch heute gebrauchen. Aber meistens tut es da auch eine simple Excel-Tabelle. Und wenn ich in der Arbeit von abklingenden e-Funktionen spreche, dann versteht es sowieso keiner. Ein Vorstand, mit dem ich es später zu tun hatte, meinte sogar, ich sei mit meinem Wissen gefährlich für seine Gesellschaft und die Moral ihrer Verkäufer! Doch noch immer möchte ich Künstler werden, mit meinen 44 Jahren. Natürlich reden auch heute noch alle dagegen. Heute geht es erst Recht nicht mehr. Oder würde es doch noch gehen? Meine Frau hat mir zum 35.sten Geburtstag einen Malkasten mit Ölfarben geschenkt. Zuvor habe ich sie fast 15 Jahre lang damit genervt: „Ich würde so gerne malen.“. Wie dumm muss ein Mensch sein, sich etwas 15 Jahre lang zu wünschen und es nicht zu tun? Über das Geschenk aber, mit dem mir meine Frau viel zu Nahe getreten ist, habe ich mich dann geärgert, anstatt dass ich mich freute. Ich habe es verbannt und meine Frau damit fürchterlich verletzt. Erst ein Jahr später habe ich den Malkasten im Radkasten versteckt, als wir an den Gardasee gefahren sind. In einer ruhigen Minute, in der ich mich allein glaubte, habe ich dann angefangen, einen Strich neben den anderen zusetzen und war mitten drin. Es hat mich nicht einmal gestört, dass plötzlich meine Familie und eine befreundete Familie auf der Terrasse standen und wie gebannt beim Malen zusahen. Es war wie ein Fluss, in dem ich meditierte und in dem alles wie aus Geisterhand gelang. Von Gernika zur Kunst und wieder zurück. Hier bin ich: In Gernika. Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern? Tun wir das? Haben wir überhaupt eine leise Ahnung davon, was in Gernika passiert ist? Über Gernika habe ich mir damals jedenfalls keine Gedanken gemacht. Jetzt wird es also ernst? Doch mit wem ich auch spreche: Ich stoße nur auf Freundlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaftlichkeit – nie auf die Vergangenheit. Und nie auf Verbitterung gegenüber Deutschen. Vergessen, vorbei. So gehen die Basken damit um. In Deutschland ist es ja so, dass man sich scheinbar per se ab Geburt dafür schämen muss, was einmal war. Und nachdem ich kurz hinter Dachau zu Hause bin, fahre ich allzu oft am ehemaligen Konzentrationslager. In der Schule darüber etwas lernen. Gut. Aber irgendwann muss auch wieder einmal die Gegenwart eine entscheidende Rolle spielen. Respekt und Geschichte natürlich in Ehren! Also wie werden mich die Menschen in Gernika empfangen? Sehen sie in mir den Nazi aus Dachau? Sehen sie den bösen Deutschen? muss ich mich in große Ehrfurcht begeben? Im Moment ist mir nicht danach. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir, freue mich auf mein Tagesziel Gernika, die Leute, ein Essen und ein Bett. Auf geschichtliche Feinheiten jedenfalls habe ich mich nicht vorbereitet und auch Ingrid meint, das ist denen „Wurst“. Das hinterlässt ein großes Fragezeichen und eine gehörige Portion Unsicherheit. Nachdem wir auf Anhieb keine Pension finden, kommt gleich die Generalprobe. Nachfragen bei der Polizei, die auch bei der Suche nach einer Bleibe behilflich ist. „Ah Alemán, Pelegrino – bienvenidos!“ Das war schon mal sehr höflich und völlig unbefangen. „En busca de una pensión, no hay problema“, also kein Problem. Obwohl ich mir auf der Polizeiwache so verschwitzt und durchnässt wie ein Penner vorkomme, werden Ingrid und ich äußerst zuvorkommend behandelt. Keine alten Kriegsgeschichten. Kein Garnichts. Der junge Oberwachtmeister Juan von der Guardia Municipal begleitet uns sogar noch ein Stück in Richtung der empfohlenen Pension. Er spricht über das Sauwetter und möchte meinen Rucksack mal hochheben, um zu wissen wie schwer der ist. Diesen Wunsch schlage ich im logischerweise nicht aus. Er murmelt etwas, was so ähnlich klingt wie „geht schon“, sieht auf den viel größeren Rucksack von Ingrid und meint dann entsetzt „Madre de Dios“, die muss wirklich Buße tun und lacht. In der netten kleinen Pension Boliña finden wir dann günstig ein sehr sauberes Zimmer vor. Alles ist so, wie es auch im vergangenen Jahrhundert hätte sein können. Nur die modernen Flachbildschirme verraten etwas über unsere moderne Zeit. Auf einer engen knarzigen Holztreppe geht es rauf zu unserem gemeinsamen Zimmer 201. Der Raum ist klein, aber dafür sehr hoch. Ein uralter dunkelbrauner Sekretär steht hier, auf dem ich dann bestimmt noch mein Tagebuch schreiben werde. Neben dem Bett steht ein elektrischer Heizkörper, der sicher auch schon vieles erlebt hat. Ein Wunder, der Heizkörper springt sofort klaglos an. So kann ich das erste Mal meine Sachen im Waschbecken auswaschen und trocknen. Mit einem wilden Zickzack von Leinen habe ich das Schlafzimmer zum Trockenraum umfunktioniert. Gut, dass es der Wirt nicht gesehen hat. Und noch einmal bekomme ich von Ingrid eine Lektion mit auf meinen Weg: Du brauchst viel weniger, als du denkst. Weil ich gerade beim Auspacken bin, möchte Ingrid mir zeigen, was ich definitiv alles nicht mehr benötigen werde. Abschied! Sie stellt mir den Mülleimer direkt vor die Füße und dann geht es los. Zweite lange Hose? Weg damit. Zwei zusätzliche T-Shirts: Weg damit. Die zweite kurze Hose: Ebenfalls weg damit. Dann kommt meine Apotheke dran. Eine volle Tube Heilsalbe – wofür? Ingrid drückt alle Tuben, die ich dabei habe, im Waschbecken bis zum letzten Rest aus und spült die Pasten herunter. Für einmal genügt es jetzt, meint sie. Mein Rucksack wird leer. Ingrid hat jedes noch so kleine Detail hinterfragt. Gerade werde ich zum Minimalpilger. Nur eines habe ich Ingrid wirklich voraus: Es ist mein Bettbezug. Zu Hause habe ich keinen Schlafsack gehabt. Ohnehin leide ich ein wenig unter Platzangst. Und so bin ich auf die Idee mit dem Bettbezug gekommen. Leichter geht es natürlich nicht. Das Einpacken ist immer schnell erledigt. Waschen kann man ihn zur Not ebenfalls. Und er reicht vollkommen. Mir zumindest. Denn hierin kann ich mich bewegen und gut schlafen. In fast allen Unterkünften gibt es zudem Decken. Und wenn es wirklich kalt wird, muss ich eben in dicken Klamotten schlafen. Oder meinen Bettbezug mit weiteren Sachen ausstopfen. Mein „Schlafsack“ ist also leicht, geräumig und bietet nur Vorteile. 26 Euro habe ich heute unfreiwillig für die Ersatzunterkunft ausgegeben. Die große Überraschung: Selbst das Abendessen ist nebst allen Getränken und dem exquisiten Service inklusive. Es gibt ein Viergängemenü. Und eine stilsichere Bedienung, die in deutschen Wirtschaften Ihresgleichen sucht. Zuerst gibt es eine große gemischte Vorspeise mit luftgetrocknetem Serranoschinken. Dazu allerlei selbst eingelegtes Gemüse, welches uns die Gastwirtin dann selbst erklärt. Im Anschluss daran wird uns mit weißer Serviette am Arm Pasta serviert. Reichlich. Kaum ist der Tafelwein leer, kommt schon der Kellner mit einer neuen Flasche der edleren Sorte. Direkt vor unseren Augen geköpft und kandiert. Der Hauptgang ist wahlweise Lup de Mar oder ein saftiges Rumpsteak. Ich entscheide mich für den Fisch. Der Koch, der ebenfalls zu den Tischen geht, sagt uns, dass man hier zum Fisch keinen Weißwein, sondern am besten einen gekühlten Rotwein des Hauses trinken solle. Natürlich sei auch die zweite Flasche inklusive. Und dann gibt es noch meine Lieblingsnachspeise: Arroz con leche. Ein selbstgemachter Reispudding. Ingrid, die ihr Tischgebet vergessen hat, holt es jetzt bei der Nachspeise nach und ich weiß nicht, ob ich lachen oder schweigen soll. Ich schweige mal lieber. Die Nachspeise ist also gesegnet und nun kann ich loslegen. Meine etwas verlegene Frage an die Wirtin, ob ich noch ein wenig Nachschub haben könnte empfindet die Wirtin glücklicherweise als großes Kompliment. Sie erzählt mir, wie sie die Nachspeise gemacht hat, natürlich alles selbst und sie freut sich über meinen Appetit, denn es ist bestimmt noch etwas übrig davon. Auch die Wirtin fragt, ob wir aus Deutschland seien und heißt uns ganz herzlich in „ihrer Familie“ willkommen. So viel jedenfalls habe ich verstanden. Dann aber geht wirklich nichts mehr in mich hinein und wir beschließen diesen wunderbaren Abend mit dem Ausblasen der Kerze am Tisch. Der Kellner läuft uns sogar noch nach, als wir gehen. Er möchte uns die angefangene Weinflasche mit auf das Zimmer geben. Aber genug ist genug. Schließlich möchte ich morgen noch wandern können. Er grinst, behält die Flasche und wünscht uns eine gute Nacht. Camino de la Costa/ Jakobsweg an der Kste H1 Inhaltsverzeichnis MARKINA-XEMEIN – GERNIKA Array ( ) Inhalt H2 zum Camino de la Costa/ Jakobsweg an der Küste, Küstenweg Array ( ) Jakobsweg an der Küste, Burnout, Inhaltsverzeichnis H3 Array ( ) 1313Inhalt aus dem Buch BURNOUT: Eine Reise auf schmalem Grat , Jakobsweg an der Kueste und additive Fotos hier auf der Jakobsweg-Webseite (Fotos im Buch nicht enthalten)
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